Literaturfest München:Wortgefechte und Sprachtango

Bei einem zweitägigen Symposium im Münchner Literaturhaus erkunden Wissenschaftler, Künstler und Autoren die Grenzen und spielerischen Freiheiten der Sprache.

Von Sofia Glasl

Don Quijote verkraftete die Dauerlektüre von Ritterromanen nicht besonders gut, hielt sich letztendlich selbst für einen tapferen Edelmann und zog gegen Windmühlen in den Krieg. Die inflationäre Produktion von Schundromanen trieb ihn letztendlich in den Wahnsinn, und er wusste Fakt und Fiktion nicht mehr voneinander zu trennen. Die Karikatur des Lesers Don Quijote macht deutlich: Lesekompetenz und Belesenheit gelten in Europa als kulturelle Grundwerte und Bedingung von elementarer Orientierung in der Welt.

Das zweitägige Symposium "Lasst uns über Sprache reden..." beim Literaturfest München, das am vergangenen Wochenende im Münchner Literaturhaus stattfand, beschäftigte sich mit dem Spannungsfeld, das sich zwischen diesen beiden Polen eröffnet. Die Autorin Elke Schmitter, diesjährige Kuratorin der Reihe forum:autoren, hatte Wissenschaftler, Autoren und Künstler zum gemeinsamen Nachdenken über die Grenzen und Bedingungen von Sprache eingeladen.

Der Kulturwissenschaftler Jochen Hörisch leitet den eurozentristischen Wert der Belesenheit als Allgemeinbildung historisch ab und sieht in der Kanonbildung eine Reduktion von Überkomplexität angesichts von inflationärer Textproduktion - seit Erfindung des Buchdrucks um 1450 und durch das Internet ein zweites Mal angeschoben. Die Autorität eines Autors, Lektors oder Redakteurs würde aktuell immer weiter untergraben und so ein unbezwingbarer Sinnüberfluss ungefiltert in die Welt getragen. Es würde heutzutage so viel wie noch nie geschrieben und aufgrund des Überangebots so wenig wie noch nie gelesen. Kulturpessimismus in Hochform, für ein Nachdenken über alternative, flexible Schreibweisen und Sprachmodelle blieb leider keine Zeit.

Dass Sprache flüchtig ist und in jedem Gebrauch neu verhandelt wird, betonte Mandana Seyfeddinipur, Leiterin des SOAS World Languages Institute in London. Mit ihrem Team arbeitet sie daran, alle Weltsprachen in einem Archiv zu konservieren. Sprache sei ein Gebrauchsmedium, das sich mit seinen äußeren Bedingungen entwickle. Globalisierung, Urbanisierung und Klimawandel beeinflussten die Sprache somit genauso wie alle anderen Lebensbereiche auch. So sieht Seyfeddinipur das Aussterben von kleinen, nur mündlich weitergegebenen Sprachen als natürliche Folge von Urbanisierung. Wenn etwa in einem kleinen sibirischen Dorf nur noch ein alter Mann eine Sprache beherrscht, weil die Jungen in die Stadt abgewandert sind, dann sei das der natürliche Lauf der Dinge. Seyfeddinipur spricht nicht pessimistisch vom Aussterben solcher Sprachen, sondern davon, dass die letzten Sprecher sie bewusst oder gezwungenermaßen ablegen. Sie betont in diesem Zusammenhang, dass das Konzept der Muttersprache, ähnlich wie die Verschriftlichung, ein an westlich-europäischen Strukturen orientiertes Konzept sei, das in einem Großteil der Welt aufgrund von natürlicher Mehrsprachigkeit keine Rolle spiele.

Seyfeddinipur zeigt, dass Sprache nicht nur als Kommunikationsmedium funktioniert, sondern auch das Denken und somit die gesamte Identität und das kulturelle Selbstverständnis prägt. Weltbezug, Erleben und Erkenntnis hängen mitunter direkt davon ab, wie man einzelne Phänomene in der jeweiligen Sprache ausdrücken kann. Sprache formt also im Wittgensteinschen Sinne das Denken.

Der politische Subtext von Sprache war in sämtlichen Diskussionen ein Thema

Der Linguist Jürgen Trabant setzte dieses Praxisbeispiel in einen theoretischen Kontext, indem er die historische Entwicklung von Volkssprachen an semiotischen Zeichenmodellen darstellte. Die Autorin Ulrike Draesner schloss mit einem eingängigen Gedankenspiel von George Lakoff an diese Erkenntnis an: Was wäre, wenn wir für das Metaphernfeld, das wir zur Beschreibung unserer Streitkultur verwenden, nicht kriegerische Begrifflichkeiten wie etwa "Schlagabtausch" oder "Wortgefecht" wählten, sondern Bilder aus dem Tanz? Wäre das Ergebnis ein gemeinschaftliches und nicht die Unterscheidung in Sieger und Verlierer? Sie veranschaulichte so die Wirkmacht von Sprache und Metaphern, die nicht harmlos oder gar neutral funktionieren, sondern unbewusst eine Grundhaltung und Voreingenommenheit evozieren. Elke Schmitters Motto für das forum:autoren "ein wort gibt das andere" könnte aus dieser Perspektive ebenfalls neu gedacht werden.

Die politische Codierung von Sprache lief in allen Diskussionen als Thema mit, gerade auch wenn es um die Rolle der Sprache bei Migration und Flucht geht. Der Autor Senthuran Varatharajah, in Sri Lanka geboren und in Frankfurt aufgewachsen, erzählte davon, dass die Sprache seiner Herkunftswelt für ihn mit dem Tod assoziiert sei, da es unter Strafe verboten war, sie zu sprechen. Für ihn hat die "Muttersprache" nur funktionalen Wert, keinen identitätsstiftenden. Er stellte die emotionale Abschottung durch Nationalismen infrage und zitierte ebenfalls Wittgenstein: "Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt." Denkraum und physischer Ort werden so zu zwei Seiten der Weltwahrnehmung.

Für die neuseeländische Lyrikerin und Musikerin Hinemoana Baker hingegen ist Maori eine Vergewisserung der eigenen Herkunft und Geschichte. Anfang der Siebzigerjahre drohten die Stammessprachen aufgrund eines Verbots durch die englischsprachigen Kolonialherren tatsächlich auszusterben. Sie wurden 1972 durch die "Maori Language Petition" rehabilitiert und seitdem gefördert. Das beinahe Verschwinden der Sprachen war also in diesem Fall kein linguistisches oder ökonomisches, sondern ein politisch-herrschaftliches Problem, das auch einen direkten Angriff auf die Identität einer Bevölkerungsgruppe darstellte. Baker präsentierte nach ihrem Vortrag Maori-Gesänge, die traditionell von feststehenden Gesten begleitet werden. Intonation, Gestik und Mimik schreiben der fremden Sprache Bedeutung zu und machen Kommunikation auch jenseits von babylonischer Sprachenverwirrung möglich.

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