Süddeutsche Zeitung

Literaturfest:Herkunft ist klebrig

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Alina Herbig und Xiaolu Guo mit ihren Romanen im Literaturhaus

Von Anna Steinbauer, München

Herkunft ist schmerzhaft. Besonders wenn sie Erinnerungen weckt - schöne oder schreckliche. An das dreckige Braun der Meeresgischt, an das Gefühl, wie es ist, durch ein trockenes Weizenfeld zu laufen oder an gewalttätige Patriarchen. Die Schilderungen der Bitterkeit und Härte des Landlebens und die Sehnsucht nach der Stadt verbinden die Werke der beiden gegensätzlichen Autorinnen, die Doris Dörrie zu einer gemeinsamen Lesung eingeladen hat: Die 1984 in Lübeck geborene und in Mecklenburg-Vorpommern aufgewachsene Alina Herbing, die mit sanfter Stimme von der emotionalen Abgestumpftheit der Männer auf dem Dorf und ihrer eigenen Melk-Expertise berichtet. In ihrem Debütroman "Niemand ist bei den Kälbern" versorgt die Protagonistin Christin in einem mecklenburgischen Kaff die jungen Rinder, ist männlichen Übergriffen ausgeliefert und traut sich noch nicht einmal, einen großen Traum zu haben.

Unverblümt und klar schreibt auch die 1973 geborene Xiaolu Guo über sexuelle und physische Gewalt, die ihr Roman-Alter-Ego aus "Es war einmal im Fernen Osten" erdulden muss. Xiaolu stammt aus einem Fischerdorf am Ostchinesischen Meer und verbrachte ihre Kindheit bei ihren gewalttätigen Großeltern, die beide weder lesen noch schreiben konnten und bitterarm waren. Ihren beeindruckenden Lebensweg, der sie von einem kleinen Küstenort über Peking, an die Filmhochschule und schließlich nach England führte, weil sie Künstlerin werden wollte, beschreibt sie in dem autobiografischen Reiseessay "Es war einmal im Fernen Osten". Nüchterne, harte Prosa? "Alles ist romantisch wenn man es in Narrativen erzählt", sagt Xiaolu, deren große Idole die Filmemacher der Nouvelle Vague sind. Der Westen übte schon immer eine große Faszination auf das chinesische Mädchen aus der Provinz aus, die am liebsten mit den schwulen, europäischen Künstlern abhängen wollte. Herkunft ist eben klebrig wie ein Fliegenfänger in einem Meckpommschen Kuhstall.

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Quelle:
SZ vom 22.11.2017
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