Es hakt und knirscht, es holpert und stockt. Ein guter Start sieht anders aus. Da verlaufen Fragen der Moderatorin Bettina Reitz im Nichts (zum Beispiel zur Genese und Verlagsfindung des heiklen Romans), da widerspricht Oskar Roehler der Präsidentin der Hochschule für Fernsehen und Film mehrmals deutlich, und was die Bühnenkunst des Autors betrifft: Der beste Vorleser ist er nicht. Zu schnell, zu haspelnd, ohne Höhen und Tiefen. Zugkraft? Kaum.
Dass sich die Vorstellung von "Selbstverfickung", dieses "radikalsten, schmerzvollsten und polarisierendsten Buches" (Literaturhaus-Chefin Tanja Graf zur Begrüßung) dennoch zu einem spannenden und erkenntnisreichen Abend wandelt, liegt mitunter an der Lust des Autors, die Themen seines Romans herauszuschälen und monologisierend weiterzudrehen. Und ein bisschen zu provozieren, klar, das auch. Vordergründig geht es in "Selbstverfickung" um einen alten, konservativ abgestumpften Regisseur, der, "aufgebraucht vom Kapitalismus, aufgelöst in Wohlstand", zynisch zurückblickt auf sein Leben, das heute aus Schlafstörungen, Puffbesuchen und - immerhin - aus Begegnungen mit seiner Tochter besteht. "Ein Buch über das Älterwerden", wie Roehler sagt. Der 58-Jährige, der im Roman und auf der Bühne das Autobiografische von sich weist, steigert sich bei seinem Auftritt wiederholt ins Gesellschaftspolitische. Er betont, wie sehr ihn Vorverurteilung und Linksfaschismus irritierten, ebenso Menschen, "die von Geburt an auf der moralisch sicheren Seite" stünden und mit dem Zeigefinger wedelten. Er bezeichnet den Journalisten Georg Diez als "Milchbubi", stelle ein "Klima der Feindseligkeit" fest, fühle sich selbst zunehmend spießig und will auch zum Weinstein-Skandal etwas bemerken: "Plötzlich schreiben Männer wie Frauen, und ich frage mich, ob das ihre Frauen zuhause geschrieben haben?" Auf die Frage, wie politisch man als Künstler denn sein soll, antwortet er: "gar nicht."
Am besten ist der kontroverse Schriftsteller und Filmemacher ("Die Unberührbare", "Elementarteilchen") dann, wenn er über den intellektuellen Überbau seiner scheinbar handlungsfreien und depressiven Verfallsgeschichte spricht. Wenn er mit dem Publikum spielt ("Ich glaube, manche sind nicht alt genug für das Buch"). Er betont den "Zitat-Charakter" des Romans, verweist auf Thomas Mann, William S. Burroughs und die "dekadente Literatur" aus Frankreich oder Italien. Und natürlich Kafka, nach dessen Protagonisten in "Die Verwandlung" Roehler seine Hauptfigur benannt hat: Gregor Samsa. Und so passt denn auch die Wandlung des Abends hervorragend zum Buch, das hintergründig davon handelt, wie sich ein Mann über Nacht zum hilflosen Objekt wandelt und nicht mehr zurechtkommt mit seinem Umfeld. Auch der finale Plot-Twist, der hier nicht verraten wird, ist durchaus kafkaesk. Das alles ist klug und derb, verstörend und vielschichtig, markig und surreal. Eine Lesung, ganz gewiss, nach der man das Buch mit anderen Augen sieht. Zuweilen tut es gut, wenn es ordentlich knirscht.