Literatur:Zuhören hat Zukunft

Poetenfest 2019; Erlanger Poetenfest

Nach seiner Flucht verzweifelte Abbas Khider an Umlauten und deutschem Satzbau - heute sitzt er als Schriftsteller vor seinem Publikum.

(Foto: Erich Malter)

Buchverliebte Gespräche, Entdeckungen, Sprachwucht - das bleibt vom 39. Poetenfest in Erlangen

Von Olaf Przybilla, Erlangen

Jedes Festival hat seine Mythen. Und zu jenen übers Poetenfest gehört die Erzählung, wie im Sommer 2005 ein junger, noch wenig bekannter Mann erstmals öffentlich aus seinem Roman vorliest. Wenig später ist der Mann einigermaßen berühmt und sein Buch ein Welterfolg. Die Rede ist von Daniel Kehlmann, er las in Erlangen aus der "Vermessung der Welt".

Noch ein Poetenfestmythos: 2009 liest Herta Müller aus ihrer "Atemschaukel", wer den Auftritt erlebt hat, wird ihn nicht wieder vergessen. Etwa einen Monat später wusste man dann, dass man an jenem Sommertag in Erlangen einer nachmaligen Nobelpreisträgerin zugehört hatte.

Seit 25 Jahren berät die Literaturkritikerin Verena Auffermann das Lesefestival, sie ist es gewesen, die sich dafür stark gemacht hatte, sowohl Daniel Kehlmann als auch Herta Müller einzuladen. Aber es ist nicht allein dieser Instinkt, der sie zur Institution gemacht hat. Es ist ihre sehr außergewöhnliche Art, wie sie Gespräche mit Literaten zu führen vermag. Inzwischen ist es ziemlich egal, wem sich Auffermann widmet. Die Leute kommen, weil sie zuhören wollen, wie sich Auffermann mit Menschen unterhält. Wenn diese dann auch noch schreiben können - umso besser.

Jan Peter Bremer hat einen Künstlerroman vorgelegt, "Der junge Doktorand" heißt er und steht auf der Longlist für den Deutschen Buchpreis. Bremer ist ein angenehm unaufgeregter Typ, er schlürft Kaffee und dreht sich Zigaretten während der Unterhaltung über sein Buch, so einer neigt vermutlich nicht zur Unterwürfigkeit. Trotzdem hört man ihn an diesem sonnigen Nachmittag im Schlosspark ständig affirmativ "hhm, hhm" sagen, während Auffermann über sein Buch plaudert wie über einen schrullig-schönen Lebensabschnittsgefährten. Der junge Doktorand, immerhin Bremers Hauptfigur? "Aus dem Kerl wird nichts mehr", sagt Auffermann, der könne sich noch bis ans Ende seiner Tage ins Caféhaus hocken, zu mehr aber tauge der nicht. An der Stelle will Bremer nun doch mal kurz einhaken ("Das weiß ich gar nicht"), Auffermann aber hat die stärkeren Argumente ("Ich schon"), am Ende ist Bremer vollumfänglich überzeugt ("Hhm, hhm"). Großes Gelächter. Auffermann beschließt die Unterhaltung mit einer Selbstbeobachtung: "Je länger ich hier sitze und rede, desto besser finde ich dieses Buch." Am Buchtisch findet es anschließend regen Zuspruch. So ist das in Erlangen.

Eingang in den Erlanger Mythenschatz könnte auch eine Geschichte von Abbas Khider finden. Dass Zuhörer in der Orangerie keinen Sitzplatz mehr finden, ist während des Poetenfests eher die Regel als die Ausnahme. Bei Khiders Auftritt indes wird sogar der Platz auf der Wiese davor knapp, was einiges über die Popularität eines Mannes erzählt, der 1996 aus Irak flüchtete und damals genau drei deutsche Vokabeln beherrschte: Hitler, Scheiße und Lufthansa. Er musste dann lernen, dass die Menschen in den Deutschkursen ganz erheblich anders sprechen als die Menschen auf den Straßen, vor allem in Bayreuth und Passau ("Das gehört auch zu Deutschland"). Er verzweifelte an Umlauten, deutscher Philosophie und deutschem Satzbau: "Kant schreibt ein Buch - und im zweiten Band kommt das Verb." Aber er hält doch fest am Traum, irgendwann Bücher in deutscher Sprache zu schreiben und sich Schriftsteller nennen zu können. Bei einem Auftritt auf der Frankfurt Buchmesse scheint sein Plan nicht glücklich zu enden. 40 Minuten steht Khider an einem Stand und lächelt, kein einziger Mensch will etwas wissen von ihm. Zehn Monate später tritt er dann erstmals beim Erlanger Poetenfest auf, das Publikum bleibt sitzen und hört ihm zu. "Da habe ich mich zum ersten Mal als Schriftsteller gefühlt", sagt er. Vor zehn Jahren war das. Khider schrieb also weiter.

Was noch bleibt vom Poetenfest? Ganz sicher der Auftritt von Christiane Neudecker. Es mag sich albern anhören, bei einer 45-Jährigen vom Opus magnum zu sprechen. Aber Neudeckers neues Werk "Der Gott der Stadt" ist von so einer Wucht, auch autobiografisch grundierten Wucht, dass sie sich selbst gegen so ein wuchtiges Etikett nicht wehrt, auch beim Poetenfest nicht. Neudecker ist es auf 670 Seiten meisterhaft gelungen, einen Faust- mit einem Nachwende-Roman zu amalgamieren und das Berlin der Neunzigerjahre dabei ebenso dicht einzufangen wie die letzten Stunden Georg Heyms und das Leben und Leiden in einer postkommunistischen Eliteschauspielschule. So viel Lesevergnügen bei so viel stofflicher und gedanklicher Tiefe hat man selten. Dass Neudecker - die nach der Wende selbst an der "Ernst-Busch"-Hochschule für Schauspielkunst in Berlin studiert hat - ihren Text auch entsprechend vorzutragen vermag, weiß man jetzt in Erlangen. Die Sonne scheint, während sie liest. Als Zuhörer aber wähnt man sich im Ausbildungsghetto, das von Regie-Autokraten mit DDR-Vergangenheit regiert wird. Finster, angenehm finster.

Dass der Kosmos von Klagenfurt nicht mit dem Literaturbetrieb an sich verwechselt werden darf, ist auch noch zu beobachten in Erlangen. Jedenfalls findet sich weder auf dem Podium noch im Publikum auch nur ein Mitdiskutant, der die am Wörthersee dominierende Meinung über einen Text Martin Beyers - zuvor vorgetragen beim Bachmann-Wettbewerb - zu teilen vermag. Angeblich, so das Klagenfurter Verdikt, hätte der Text nie geschrieben werden dürfen. Bei einem "Was-darf-Literatur?"-Diskurs in Erlangen hält man nun das wiederum für gefährlichen Unsinn.

Das Zitat des 39. Poetenfestes? Gebührt Monika Maron. Ob sie sich bei ihren Debattenbeiträgen - etwa zu Martin Walser, Uwe Tellkamp oder der "Zonophobie" - nicht zu weit aus dem Fenster gelehnt habe, will Moderator Dirk Kruse wissen. Nö, antwortet Maron. Sie habe "ganz ordentlich am Fenster gestanden". Und einfach ihre Meinung gesagt. Schön.

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