Literatur:Wütende Lavinia

Dagmar Leupold liest im Literaturhaus

Von Antje Weber

Eine Frau fällt. Vom 25. Stockwerk eines Hochhauses in New York stürzt sie sich, und während ihres freien Falls überschlagen sich auch ihre Gedanken. Denn, so der erste Satz von Dagmar Leupolds neuem Roman: "Wer ergründen will, muss herab." Gründen und Abgründen strebt Lavinia, die Titelfigur, in mehrfacher Hinsicht entgegen: Nicht nur durch ihren Sprung, auch erinnerungstechnisch steigt sie auf den folgenden 200 Seiten tief hinab in die Schichten ihrer Biografie. Und fördert dabei überwiegend unangenehme Erinnerungen zutage.

Man spürt viel Wut in diesem Werk der Münchner Schriftstellerin, die zuletzt für den Roman "Unter der Hand" (2013) den Tukan-Preis erhielt, mit "Die Witwen" (2016) für den Deutschen Buchpreis nominiert war. Dabei mischt sich die Wut über eine in Gleichgültigkeit erstarrte Gesellschaft mit der bitteren Reflexion über die Bedingungen der eigenen Biografie - und darüber, was sich leichtfertig Liebe nennt.

Der Name der Ich-Erzählerin verweist unter anderem auf den "Eneasroman" aus dem 12. Jahrhundert, in dem eine Königstochter Lavinia vorkommt. Überhaupt sind immer wieder mittelhochdeutsche Sätze eingesprengselt, schwingen viele Zitate mit. Ob man das Gewebe aus Querverweisen zu dicht, den Ton zu hoch findet, ist Geschmackssache. Die Minne jedenfalls bedeutet für die einstige wie die heutige Lavinia vor allem Leiden. "Ihr Betatscher, ihr Zurauner, ihr Übergreifer", all die übergriffigen Männer eines Frauenlebens listet Dagmar Leupold am Ende noch einmal auf. Man kann diesen Roman auch als Beitrag zur "Me Too"-Debatte lesen. Das Fazit der Fallenden jedenfalls ist tragisch eindeutig: "Haut und Papier werden nie wieder geduldig sein."

Dagmar Leupold: Lavinia, Fr., 8. Nov., 20 Uhr, Literaturhaus, Salvatorpl. 1

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