Literatur:„Was unsere Gegenwart ausmacht“ - Buchpreis-Shortlist steht

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Die deutsch-ungarische Schriftstellerin Terézia Mora gehört zu den jenen Autorinnen und Autoren, die auf den Deutschen Buchpreis hoffen können. (Foto: Frank Rumpenhorst/dpa)

Es sind sechs Romane, die auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun haben, erklärt die Jury. Vier Autorinnen und zwei Autoren sind im Finale. Aber sind ihre Werke tatsächlich so unterschiedlich?

Direkt aus dem dpa-Newskanal: Dieser Text wurde automatisch von der Deutschen Presse-Agentur (dpa) übernommen und von der SZ-Redaktion nicht bearbeitet.

Frankfurt/Main (dpa) - Es geht um deutschtürkische Realitäten, um eine toxische Liebesgeschichte oder um das Aufwachsen in den Wendejahren. Sechs Romane haben es in die Endrunde des Deutschen Buchpreises geschafft - jetzt gab die Jury die mit Spannung erwartete Shortlist in Frankfurt bekannt.

Darunter ist auch eine österreichische Coming-of-Age-Geschichte, eine Spurensuche zu den eigenen Wurzeln sowie eine bitterböse Satire. Nominiert sind Necati Öziri, Terézia Mora, Anne Rabe, Tonio Schachinger, Sylvie Schenk und Ulrike Sterblich.

Auf den ersten Blick hätten die Bücher nichts miteinander zu tun, erklärt die Jurysprecherin Katharina Teutsch. „Sie spielen zu unterschiedlichen Zeiten, beschreiben unterschiedliche Milieus in unterschiedlichen Ländern und finden dafür die je überzeugendsten Ausdrucksmittel.“

Der prominenteste Name auf der List ist sicher Terézia Mora, die bereits 2013 den Buchpreis gewann. Die in Ungarn geborene Autorin, die auch als Übersetzerin arbeitet, ist diesmal mit ihrem Roman „Muna oder Die Hälfte des Lebens“ dabei, der von einer vergifteten Liebe erzählt. „Moras schnörkellose, lakonische Prosa entfaltet vom ersten Satz an einen Sog, dem man sich nicht entziehen kann“, so die Jury.

Zwei Newcomer unter den Finalisten

Aber es sind auch gleich zwei Newcomer vertreten: Der Berliner Autor Necati Öziri - der auch am Theater tätig ist - bildet in seinem Debüt „Vatermal“ deutschtürkische Realitäten ab und fängt zugleich den Sound der Straße ein. Der Roman sei wütend, schlagfertig, witzig und zart, befindet die Jury. Die jugendlichen Helden suchten Orientierung in einer Gesellschaft, „in der sie nie wirklich ankommen“.

Anne Rabe erzählt in „Die Möglichkeit von Glück“ von der Migration aus der verschwundenen DDR in den Westen. Da ist die Kindheit an der ostdeutschen Peripherie, das Aufwachsen im Chaos der Wende- und Nachwendezeit und die Eskalation der Gewalt der 1990er Jahre. Die Juroren loben die scharfe Analyse von Rabes Prosadebüt. Es sei „ein aufrüttelnder Beitrag zu aktuellen Debatten über die Ursprünge von Gewalt und Menschenfeindlichkeit“.

Der Coming-of-Age-Roman „Echtzeitalter“ erzählt die Geschichte des Wiener Gymnasiasten Till. Es geht um den Zerfall der Familie, um Freundschaften, die erste Liebe und den diabolischen Klassenlehrer. Dem in Wien lebenden Tonio Schachinger, der 1992 in Indien geboren wurde, „gelingt das Kunststück, als Coming-of-Age-Roman ebenso einfühlsam wie dezent zu sein, urteilt die Jury. „Stilistisch brillant, aber nie aufdringlich.“

Fakten und Fiktion

Die französisch-deutsche Schriftstellerin Sylvie Schenk begibt sich mit „Maman“ auf eine Spurensuche, die zur Lebensgeschichte ihrer Mutter, ihrer Familie und zu ihren eigenen Wurzeln führt. Dabei verwebe die 1944 geborene Autorin kunstvoll Fakten und Fiktionen. „So entsteht ein stiller Text voller Wucht, der ohne Sentimentalität, aber mit großem Einfühlungsvermögen und historischer Neugier das zu erkunden versucht, was wir Herkunft nennen“, befinden die Juroren.

Und der Berliner Politologin und Autorin Ulrike Sterblich gelinge mit „Drifter“ „ein einziger furioser Ritt“. Laut der Jury handelt es sich um eine bitterböse Satire auf den Literaturbetrieb, die PR-Branche, Kunst, Social Media, Aktienmanager und Heldenverehrung. Gleichzeitig erzähle das Buch von einer tiefen Männerfreundschaft. Der Roman sei „eine meisterhafte Geschichte über das große Nichts“.

So unterschiedlich die Werke erscheinen - würde man alle sechs nebeneinander legen, kämen sie unweigerlich miteinander ins Gespräch, erklärt die Jurysprecherin. „Dieses Gespräch handelt von unseren Prägungen: von Erziehung und sozialer Herkunft, von politischen Ideologien, von dramatischen Systemwechseln und den Härten der Migration – von all dem also, was unsere Gegenwart ausmacht und herausfordert“, sagt Teutsch. „Darüber wird mit so viel Scharfsinn, aber auch Witz und Wärme geschrieben, dass wir uns nach der Lektüre dieser Shortlist nicht nur die Frage stellen, wo wir herkommen, sondern auch wo wir hinwollen.“

Deutscher Buchpreis

In diesem Jahr hatte die siebenköpfige Jury 196 Romane von 113 deutschsprachigen Verlagen gesichtet. Im August gab sie ihre Vorauswahl, die 20 Titel umfassende Longlist bekannt. Der Gewinner oder die Gewinnerin wird bei der Preisverleihung am 16. Oktober, zum Auftakt der Frankfurter Buchmesse, verkündet.

Vergeben wird der Buchpreis von der Stiftung Buchkultur und Leseförderung des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels. Er gilt als eine der wichtigsten Auszeichnungen der Branche und wird seit 2005 verliehen. Der Preis ist mit insgesamt 37.500 Euro dotiert: Der Sieger oder die Siegerin erhält 25.000 Euro, die übrigen Autoren der Shortlist jeweils 2500 Euro.

Im vergangenen Jahr ging der Preis an Kim de l'Horizon für den Roman „Blutbuch“.

© dpa-infocom, dpa:230919-99-247436/3

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