Literatur:Vom Ernst nicht verschont

Zum 120. Geburtstag des Humoristen Eugen Roth erzählt sein Sohn Thomas vom tiefgründigen Vater

Von Yvonne Poppek

Das Bändchen ist klein und schmal mit dicht bedruckten Seiten. Eine Sammlung von Anekdoten über die Buben Thomas und Stefan aus den 1940er und 50er Jahren. Mittlerweile lässt es sich fast als ein zeithistorisches Dokument begreifen und zugleich bleibt es eine zeitlose Beschreibung jener unfassbar unschuldigen Klugheit und naiven Würdigung von Alltäglichkeiten, wie sie nur bei Kindern zu finden sind. Da ist der Vierjährige, der mit stolzem Fleiß das beste Gemüse beim benachbarten Gärtner kauft, die vermeintliche Erwachsenensprache, die die Kinder imitieren, oder der unermüdliche Kampf der Jungen um die Liebe ihrer Eltern.

Der Münchner Dichter Eugen Roth hat diese Anekdoten über seine Söhne aufgeschrieben und sie unter dem Titel "Unter Brüdern" veröffentlicht. Das ist lange her und würde heutzutage vermutlich nicht mehr so geschehen. Mittlerweile zuckt man bei manchen Details innerlich zusammen, etwa wenn es darum geht, ob und wie die Buben zu züchtigen seien, oder über die Reaktion des fünfjährigen Thomas, als der Vater ihm einen vermeintlichen Zeitungsartikel über den frechen Sohn vorliest. Thomas greift daraufhin selbst zum Blatt und ergänzt so raffiniert wie sein Vater: "Thomas könnte vermutlich ein liebes Kind werden, wenn er nicht immer gehaut würde." Von den Geschichten sei eigentlich nichts erfunden, sagt Thomas Roth, der ältere Sohn. Und er sagt auch: "Für mich war das Buch eine Qual." Sei er doch oft darauf angesprochen worden. Aber er erkennt nach wie vor die Beobachtungsfähigkeit des Vaters, die in den Geschichten aufblitzt. Heute ist das Buch indes nur antiquarisch zu erwerben. Ist es vielleicht aus der Zeit gefallen?

Eugen Roth

Im Einsatz für die "Münchner Neuesten Nachrichten": Eugen Roth an der Uhr des Alten Peter.

(Foto: privat)

Eugen Roth wurde vor 120 Jahren in München geboren. Als Kriegsfreiwilliger wurde er 1914 schwer verwundet. Er studierte, promovierte und begann als Journalist zu arbeiten bei den Münchner Neuesten Nachrichten, bevor er 1933 von den Nazis als Redakteur entlassen wurde. 1935 veröffentlichte er dann jene Gedichte, die ihn berühmt machten: "Ein Mensch", Verse, die die menschlichen Schwächen aufs Korn nehmen, dem Leser einen Spiegel vorhalten auf eine Weise, dass der Gespiegelte zumindest grinsen muss. Das Buch wurde ein Bestseller, an den Roth weitere Erfolge anknüpfte. Populär sind die Gedichte, seine umfangreiche Prosa erreichte dieses Renommee nicht.

Der Seerosenkreis gedenkt an diesem Mittwoch des Dichters und seines Kollegen Ernst Hoferichter im Künstlerhaus. Es geht um Werk und Vita. Und wer könnte dies im Falle Eugen Roths besser tun als sein Sohn? Thomas Roth ist mittlerweile 71 Jahre alt. Er ist derjenige der beiden Brüder, der sich um den Nachlass des Vaters kümmert. Eine Aufgabe, die er mit Leidenschaft erfüllt. "Die persönliche Vertrautheit mit dem Objekt ist von Vorteil", sagt er, um dann ein wenig zu zögern. Diese Vertrautheit gehe mit den Kindern Eugen Roths verloren. Die Bibliothek, die einst den Nachlass erhalten werde, müsse sich dieses Wissen um die Schriften erst aneignen - wenn das überhaupt möglich sei. Für Thomas Roth bleiben da Zweifel.

Thomas Roth

Thomas Roth ist der ältere der beiden Söhne Eugen Roths. Der 71-Jährige kümmert sich um den Nachlass des Vaters.

(Foto: oh)

Einstweilen hat er aber noch alles im Griff. Und so ist er ein Kämpfer für das Werk des Vaters. Allerdings nicht in dem Sinne, es lebendig zu halten. "Das kann ich nur bedingt", sagt er. Die jüngere Generation sei mit den Texten des Vaters kaum mehr vertraut. Eine Tatsache, die er anerkennt. "Jedes Bergwerk ist einmal ausgeschöpft." Der Humor habe sich verändert, und wie die meisten Autoren spiegele auch sein Vater eine Zeit wider. Wenn er sich also für die Texte einsetzt, dann gehe es ihm um den qualitätvollen Erhalt. Und da hat er sehr konkrete Vorstellungen, die anderen Interessen auch einmal zuwider laufen . Etwa wenn es um die Verwendung des Zitats "Vom Ernst des Lebens halb verschont,/ ist der schon, der in München wohnt" geht und die er zu verhindern sucht, auch gerichtlich. Die Rage, die ihn dann packt, ist ein zu kleines Wort. Und warum? "Weil es nicht stimmt", ruft er. "Oder glauben Sie, dass ein Obdachloser drei Grad wärmer friert, nur weil er in München unter der Brücke schläft?"

Thomas Roth hat ein Auge darauf, in welchem Kontext die Werke seines Vaters erscheinen. Und er achtet darauf, dass nicht jede Zeile publiziert wird. "Besser, man veröffentlicht drei Dinge zu wenig, als eins zu viel", sagt er. Das gilt für ihn beispielsweise für einen München-Roman von Eugen Roth. Sein Vater habe immer behauptet, er habe ihn verbrannt, erzählt er. Aber er, Thomas, habe ihn noch. Herausgeben wolle er ihn indes nicht.

Wenn man Thomas Roth zuhört, so meint man oft, er selbst müsse auch Schriftsteller sein - ein Eindruck, der trotz seines Talents, in wenigen Worten Szenarien zu entwerfen oder zu jeder Situation Verse verschiedenster Dichter zitieren zu können, nicht stimmt. Thomas Roth hat Germanistik studiert, aber auch Volkskunde, das Fach, in dem er promovierte. "Ich könnte aber nicht einmal ein Betthupferl erfinden", behauptet er. Dennoch: Er kann erzählen. Vieles. Und viel von seinem Vater, von der Beziehung der Eltern, "eine vorbildliche Ehe". Von der Beziehung zu seinen Kindern, die der Vater, schon nahezu 50 bei der Geburt des Ersten, seine "selbst gemachten Enkel" nannte. Von Eugen Roths Empfinden, dass seine Erzählungen nicht genug gewürdigt würden. Oder dass der Vater auch Werbetexte verfasste. Und davon, dass Eugen Roth, ein "mehrheitlich depressiver Mensch", immer tiefer blickte. Und dann zitiert er ihn mit dem Bewusstsein, dass dieser Satz des Vaters stimmt, wie so viele, auch wenn ihm manche davon eine Qual sind: "Ein Mensch sieht nur ein bisschen scharf,/schon sieht er schärfer, als er darf."

120 Jahre Ernst Hoferichter und Eugen Roth, Mittwoch, 8. Juli, 19.30 Uhr, Künstlerhaus

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