Literatur:Vom Ende der Illusionen

Leonardo Padura wins 2015 Princess of Asturias Award for Literatu

Die Abgründe hinter der scheinbaren Leichtigkeit interessieren Leonardo Padura besonders. Mit seinem neuen Buch taucht er erstmals bis an die Ränder der Gesellschaft ab.

(Foto: dpa)

Leonardo Padura erforscht schreibend die kubanische Gesellschaft. Seinen neuen Roman "Die Durchlässigkeit der Zeit" stellt er nun in München vor. Der Grundton ist dunkler als bei den Vorgängern

Von Martina Scherf

Mario Conde altert, und das stürzt ihn in tiefe Melancholie. Eine Melancholie, die er früher in Rum ertränkt oder mit seinen Kumpels weggelacht hätte. Das fällt jetzt nicht mehr so leicht. Denn einige der Freunde sind inzwischen in Miami, Madrid oder Mailand, und jene, die noch da sind, sitzen auf gepackten Koffern. Das Lachen in der verbliebenen Runde hat einen bitteren Beigeschmack. Und der einstige Kommissar sinniert über verlorene Illusionen.

Mario Conde ist in mancher Hinsicht das Alter Ego seines Schöpfers. Mit den vier Kriminalromanen des "Havanna-Quartetts" wurde Leonardo Padura, einst Journalist, in den Neunzigern berühmt. Er ließ seinen Comisario die Nase in verborgene Winkel der kubanischen Gesellschaft stecken, auf der Suche nach Wahrheit hinter den geschönten Fassaden und patriotischen Parolen, die sein Land so gerne von sich verbreitet.

Padura ist ein glänzender Erzähler und ein hervorragender Stilist. Es gelingt ihm in seinem Büchern, das karibische Lebensgefühl mit all seinen Farben, Klängen und Düften aufleben zu lassen. Doch hinter der scheinbaren Leichtigkeit des Seins tun sich stets Widersprüche und Abgründe auf. Und spätestens mit seinen historischen Romanen (vor allem "Der Mann, der die Hunde liebte", deutsch 2011, oder "Ketzer", 2014) hat Padura sich an die Spitze der Weltliteratur geschrieben.

Im neuen Roman "Die Durchlässigkeit der Zeit" (alle Bücher erschienen im Unionsverlag), mit dem er jetzt nach München kommt, ist es eine verschwundene schwarze Madonna, die Kontinente und Epochen verbindet. Mario Conde ist längst kein Polizist mehr, sondern handelt mit antiquarischen Büchern - und kommt dabei genauso in die Prachtvillen Havannas wie in die verfallenen Buden verarmter Intellektueller. Bobby, ein alter Schulkamerad, taucht plötzlich auf und bittet Conde, ihm zu helfen: Ein Lover hat ihm seine Schwarze Madonna gestohlen. Sie stammt aus Palästina, Kreuzritter hatten sie einst nach Spanien gebracht, wo sie in einer abgelegenen Kapelle in den Pyrenäen landete. Und Bobbys Vorfahren retteten sie zur Zeit des Spanischen Bürgerkriegs vor Plünderern und nahmen sie mit nach Kuba. Das Familienerbstück ist nicht nur von großem materiellen Wert. Bobby ist überzeugt, dass die Madonna magische Kräfte besitzt. Die Suche nach ihr führt Conde wieder quer durch die Stadt, zu skrupellosen Kunsthändlern, die internationale Kunden bedienen, und gerissenen Dealern, die ihre Großmutter verkaufen würden für ein paar Devisen.

Erstmals taucht Padura mit diesem Buch bis in die Ränder der Gesellschaft ab, in die armseligen Hütten am Stadtrand, in denen sich arbeitssuchende Zuwanderer aus dem Osten des Landes niederlassen, von den Habaneros abfällig "Palästinenser" genannt. Drogen, Korruption und die Suche nach Heil in der Religion sind die Ingredienzien eines ätzenden Gemischs, das die Gesellschaft langsam zersetzt. Und indem er Menschen und Epochen über Jahrhunderte verbindet, variiert der Autor mit diesem Roman aufs Neue die ewige Frage nach Schicksal und Verantwortung.

Doch der Grundton dieses Romans ist dunkler als bei den Vorgängern. Padura selbst hat die 60 überschritten, seine Hoffnung auf einen friedlichen Wandel in seinem Land schwindet, wie er in Interviews zugibt. Seine Bücher werden international gefeiert und mit Preisen überhäuft. Doch Kubaner können sie kaum lesen, der Staat hat kein Interesse an ihrer Verbreitung. Und so prägt diesen 450-Seiten-Roman diesmal - aller kriminalistischen Spannung und akribischen Recherche zum Trotz - eine bittere Melancholie.

Leonardo Padura: Die Durchlässigkeit der Zeit, Lesung am Fr., 18. Okt., 19.30 Uhr, Instituto Cervantes, Alfons-Goppel-Straße 7

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