Literatur und Plagiat:"Natürlich ist das verwerflich"

INTERVIEW: TEX RUBINOWITZ

Tex Rubinowitz,1961 in Hannover geboren, lebt als Zeichner und Autor in Wien. 2014 gewann er den Ingeborg-Bachmann-Preis in Klagenfurt.

(Foto: Georg Hochmut/dpa)

Der Zeichner und Autor Tex Rubinowitz wurde beim Abschreiben erwischt: In seinem Roman "Irma" gibt es viele unausgewiesene Zitaten aus Wikipedia. Rubinowitz selbst zeigt sich angesichts der Vorwürfe zerknirscht.

Von Lothar Müller

Tex Rubinowitz ist zerknirscht. "Natürlich ist das verwerflich, was ich da gemacht hab." Es rauscht in der Handyverbindung nach Österreich, aber die Entschuldigungskaskade kommt durch: "Es ist mir passiert, ich hab mir da keine großen Gedanken gemacht, ich habe einen Fehler gemacht, und dazu stehe ich auch, ich kann nur sagen, es tut mir leid und soll nicht wieder vorkommen."

Tex Rubinowitz ist zerknirscht, weil Frank Fischer und Joseph Wälzholz, zwei Beiträger des Blogs "Der Umblätterer" in einem langen Print-Artikel in der FAZ nachgewiesen haben, dass in seinem im Frühjahr bei Rowohlt erschienenen Roman "Irma" sehr viele nahezu wörtliche Zitate aus Wikipedia-Einträgen stecken, ohne dass das im Quellenverzeichnis - das hat der Roman tatsächlich - ausgewiesen würde.

Das Dumme ist, dass die Autoren vom "Umblätterer" nicht zum ersten Mal Zerknirschung und Entschuldigungskaskaden bei Tex Rubinowitz ausgelöst haben. Er hatte im Februar in einem Artikel im SZ-Magazin unter dem Titel "Der Mozart unter den Texten" Redewendungen des Typs "der Woody Allen des Barock", "der Heino der Literatur" aufs Korn genommen, und weil den Autoren vom "Umblätterer" nicht entgangen war, dass mehr als zwanzig Beispiele einer einschlägigen Liste entnommen waren, die sie in ihrem Blog veröffentlicht hatten, war Rubinowitz von ihnen prompt zum "Guttenberg des Feuilletons" geadelt worden.

Tex Rubinowitz ist zerknirscht, hat aber eine Antwort auf die Frage, warum in seinem Roman "Irma", einer per Facebook wieder aufgenommenen Liebesgeschichte mit einer Verflossenen, so viele Wikipedia-Texte enthalten sind. Das Buch, sagt er, ist kein Roman, keine Kurzgeschichte, es ist eher ein frei flottierender bastardisierter Text, eine Art Patchwork aus verschiedenen Stilen. Ja gut, aber wollen nicht die Wikipedia-Autoren, wenn man lauter Sätze zitiert, in denen mehr steht als eher anonyme Allgemeinheiten ("Kaulquappen sind die Larven der Froschlurche") , als Quelle genannt werden?

Tex Rubinowitz ist zerknirscht, aber glaubt, dass das sehr häufig passiert, "dass man flapsig, in einem Zeitdruck, der bei mir allerdings nicht gegeben war, bei einem Ding, das man erklären möchte, schnell zum Lexikon geht und das leicht fasslich kopiert". Aber warum schreibt Rubinowitz so wenig um? "Vielleicht aus Faulheit, ich weiß es auch nicht, ich könnte es schon machen." Ist es vielleicht eine Obsession für den Stil von Lexika? "Die Sachlichkeit, wenn sie ins Erzählerische lappt, ist schon ganz, ganz toll, so wie das zum Beispiel Oliver Sacks macht, wenn das Sachliche ein wenig verwischt ist. Ich würde mich nicht nur von Lexika ernähren, aber das macht einfach Spaß, und was noch viel mehr Spaß macht, ist die Wikipedia-Diskussion, die Streitereien und Rangeleien um einzelne Formulierungen."

Nicht erst, seit Thomas Mann für das "Typhus"-Kapitel in den "Buddenbrooks" das Konversationslexikon ausschrieb, ist "das höhere Abschreiben" mit den Lexika im Bunde. Sehr zu empfehlen als Schulung im Lexikonstil ist nicht nur für noch unsichere Autoren wie Tex Rubinowitz das Spiel, bei dem jemand aus dem Fremdwörterlexikon einen Begriff heraussucht, der allen Mitspielern unbekannt ist (hier bitte ehrlich sein!), jeder eine Definition aufschreibt, der Spielleiter die originale Lexikondefinition hinzufügt, alle Zettel vorliest und schließlich darüber abstimmen lässt, bei welcher es sich um die des Lexikons handelt. Wer auf Kosten des Lexikons viele Mitspieler-Stimmen erhält, ist auf einem guten Weg, keine Plagiatsvorwürfe fürchten zu müssen.

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