Literatur:Über diese Bücher spricht man jetzt

Warum im Weißen Haus die Angst umgeht, wer sich vor Deutschland fürchtet und wie künftig mit der AfD umzugehen ist: Die Sachbücher des Herbstes liefern Antworten.

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Andreas Rödder: Wer hat Angst vor Deutschland?

Andreas Rödder Wer hat Angst vor Deutschland? S. Fischer Verlag

Quelle: S. Fischer

Deutschland, ein europäisches Problem? Dieses Problem schien nach der Wiedervereinigung gelöst zu sein. Andreas Rödders so knappes wie umfassendes Buch signalisiert, was passiert ist: Die scheinbar gelöste deutsche Frage ist, jedenfalls in den Augen vieler Nachbarn, wieder da. Dabei verfällt der Autor nicht in Fatalismus. Er verlagert das deutsche Problem auf die Ebene der in Europa miteinander kommunizierenden Wahrnehmungen.

Dieses besonnene, gelegentlich zu kurze Buch muss man einer von historischem Bewusstsein unbelasteten Querfront von rechts bis links gegen die EU ans Herz legen. Wer die europäische Gemeinschaft zerstören will, öffnet die Büchse der Pandora. Denn das deutsche Problem wird nicht verschwinden. Es war nie weg.

Lesen Sie hier die ausführliche Rezension von Gustav Seibt.

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Max Czollek: Desintegriert Euch!

Max Czollek: Desintegriert Euch

Quelle: Hanser

Der Grundgedanke des Buches ist nicht falsch: Minderheiten werden in Deutschland von der Mehrheitsgesellschaft Rollenmuster zugewiesen, die nicht unbedingt der Wirklichkeit entsprechen. Max Czollek ruft die Minderheiten deshalb dazu auf, sich dagegen zu verwahren, um die deutsche "Dominanzkultur" zu brechen.

Dabei überführt Max Czollek mühelos linke Ideen in populistische Argumentationsmuster: Er behauptet ein Tabu, wo keines ist, um es heroisch zu brechen. Er stilisiert seine ideologischen Gegner zur metapolitischen Supermacht, um sheroisch gegen sie zu Felde zu ziehen. Und er stellt wilde Behauptungen in den Raum, um sie gleich darauf wieder zu relativieren und eine Antwort auf eine Frage anzubieten, an die sich längst niemand mehr erinnern kann. Der wütende Sprachgestus des Buches signalisiert, dass Czollek dringend etwas sagen möchte. Er scheint nur nicht genau zu wissen, was.

Lesen Sie hier die ausführliche Rezension von Felix Stephan.

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Aladin El-Mafaalani: Das Integrationsparadox

Aladin El-Mafaalani: Das Integrationsparadox

Quelle: Kiepenheuer & Witsch

Seit zwölf Jahren diskutieren Politiker über die Frage, ob die Religion von mittlerweile fünf Millionen Muslimen im Land zu Deutschland gehört oder nicht. Umso erfrischender liest sich das Buch des Integrationsforschers Aladin El-Mafaalani. Mit seinen Thesen stellt er die Endlosdebatte über Islam und Integration gehörig auf den Kopf, indem er einen Blick in die Vergangenheit wirft und einordnet, und das besonnen und durchweg anschaulich.

Tenor: Niemand hat gesagt, dass es einfach wird, aber Deutschland ist auf einem guten Weg zur offenen Gesellschaft. Immerhin entstünden die Konflikte deshalb, weil zwei Seiten, die vorher nichts miteinander zu tun hatten, nun miteinander sprechen. Dies sei der "anstrengende Prozess des Zusammenwachsens einer offenen Gesellschaft". Statt sich nach einer "Leitkultur" zu sehnen, wäre es nun an der Zeit, Regeln für eine "Streitkultur" zu definieren und positive Ideen für die Zukunft zu entwickeln.

Lesen Sie hier die ausführliche Rezension von Dunja Ramadan.

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Timo Lochocki: Die Vetrauensformel

Timo Lochocki: Die Vetrauensformel

Quelle: Herder Verlag

Die AfD macht Beute, indem sie die anderen verändert, stellt Timo Lochocki in seinem Buch "Die Vertrauensformel" fest. Die anderen Parteien verändern unter dem Eindruck der Rechtspopulisten die Debatte oder die Gesetze. Lochocki sieht die Verantwortung vor allem bei CSU und CDU, die den Raum geöffnet hätten, in den die Rechtspopulisten stoßen. Wenn die Rechtspopulisten weiter erstarken, drohe dem Land ein "Klima des Hasses" und politische Stagnation, weil über die wichtigen Themen nicht mehr gesprochen werde.

Es komme jetzt darauf an, dass die Regierenden den "bürgerlichen Kompromiss" als Idee in den Mittelpunkt stellen, um AfD-Wähler zurückzugewinnen. Ein solch umfassendes Rezept zur Heilung eines politischen Schadens ist ungewöhnlich. Aber seine Ideen sollten all jenen eine Debatte wert sein, die erkannt haben, dass Ignoranz, Empörung und Entsetzen gegen Rechtspopulismus nicht reichen.

Lesen Sie hier die ausführliche Rezension von Jens Schneider mit SZ Plus.

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Jana Hensel und Wolfgang Engler: Wer wir sind

Jana Hensel und Wolfgang Engler: "Wer wir sind"

Quelle: Aufbau Verlag

Der Osten fungiert wieder einmal als Projektionsfläche, um sich der eigenen Vortrefflichkeit zu versichern. Die Konflikte werden hysterisiert, statt sie zu beschreiben und politisch zu bearbeiten. Wie man die Debatte versachlichen und zugleich verschärfen kann, zeigen Jana Hensel und Wolfgang Engler in ihrem gerade erschienenen Gesprächsbuch "Wer wir sind". Darin diskutieren sie, wie DDR-Bürger nach 1989 zu Ostdeutschen wurden, was der Aufstieg von Pegida und AfD mit den Umbruchserfahrungen der Neunziger zu tun hat und warum sich Ossis nicht gern belehren lassen.

Es ist selten, dass Intellektuelle These neben Antithese stellen und die Unvereinbarkeit aushalten. Die beiden ostdeutschen Autoren schaffen es, einander scharf zu widersprechen und dennoch im Gespräch zu bleiben. Dieser Gesprächsband zeigt die Welt in ihren Widersprüchen.

Lesen Sie hier die ausführliche Rezension von Jens Bisky mit SZ Plus.

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C. Butterwegge, G. Hentges u. G. Wiegel: Rechtspopulisten im Parlament

Christoph Butterwegge, Gudrun Hentges, Gerd Wiegel
Rechtspopulisten im Parlament

Quelle: Westend Verlag

Der Erfolg der AfD markiert einen Umbruch des Parteiensystems, konstatieren Christoph Butterwegge und seine Mitautoren in ihrer Analyse "Rechtspopulisten im Parlament". Mit einem Blick von links ziehen sie eine Bilanz des Auftretens der AfD in Landtagen und dem Bundestag. Sie schildern minutiös, wie die AfD mit Anträgen und Anfragen Angst vor Flüchtlingen oder auch Muslimen schüre, sie "entmenschlicht und nicht als Individuum ansieht". Empörung allein helfe wenig, warnen die Autoren. Man müsse die Widersprüche der AfD aufzeigen, sie argumentativ stellen.

Ihre Perspektive ist so eindeutig wie ihre Haltung zur AfD. Das tut dem Buch nicht immer gut, etwa wenn aufgrund von Indizien Vorahnungen über ein neurechtes Netzwerk rund um die Partei geraunt werden. Insgesamt aber ordnen die Autoren klug ein, was sie über die Parlamentsarbeit der AfD gesammelt haben.

Lesen Sie hier die ausführliche Rezension von Jens Schneider mit SZ Plus.

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Wolfgang Ischinger: Welt in Gefahr

Wolfgang Ischinger, Welt in Gefahr

Quelle: Econ Verlag

In seinem Buch "Welt in Gefahr" skizziert Wolfgang Ischinger anhand seiner diplomatischen Karriere die alte internationale Ordnung, die seit dem Ende des Warschauer Pakts erodiert. Und er wirft einen Blick auf das weltpolitische Zeitalter, in dem sich die USA von ihrer Rolle als globaler Führungsmacht zurückzieht und Russland mit einer aggressiven Außenpolitik einen Westen zu schwächen versucht, der kaum zu gemeinsamen außen- und sicherheitspolitischen Positionen findet. Am schlimmsten ist für den ehemaligen Spitzendiplomaten aber, dass das Vertrauen zwischen den Mächtigen beschädigt ist.

Ischinger plädiert vor dieser Kulisse dafür, dass Deutschland sich weiter um den Austausch mit der Trump-Regierung und auch mit Putin bemühen, aber gleichzeitig seine Kultur außenpolitischer Zurückhaltung aufgeben müsse. Demnach müsse Deutschland bereit sein, sich an einer Koalition der Willigen zu beteiligen.

Christoph Dorners Rezension erscheint in der SZ vom 24. Oktober.

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Daniela Dröscher: Zeige deine Klasse

Daniela Dröscher: Zeige deine Klasse

Quelle: Hoffmann und Campe

Der französische Soziologe Didier Eribon ist so etwas wie der Hausgott der autobiografischen Erzählung der Schriftstellerin Daniela Dröscher. Wie Eribon fächert Dröscher die Bedeutung sozialer Herkunft anhand ihres eigenen Lebens auf. Die beginnt in einem kleinen Dorf in Rheinland-Pfalz, wo sie 1977 als Tochter eines Maschinentechnikers und einer Fremdsprachenkorrespondentin geboren wird. Aus all den Nebensächlichkeiten, die Dröscher mit fast gnadenlosem Blick protokolliert, werden die Verwerfungen in dieser westdeutschen Idylle spürbar. So setzt sich das Bild eines Milieus zusammen, das zwar den Aufstieg schafft, der herrschenden Klasse aber immer unterlegen sein wird.

Dröschers Memoir ist eine Sammlung der unterschiedlichsten literarischen Formen. Wenn sie erzählt, klingt das mal wissenschaftlich, mal märchenhaft. Ihre Aneignung von sozialem Status ist nicht zuletzt eine Aneignung von sprachlichen Mitteln.

Lesen Sie hier die ausführliche Rezension von Verena Mayer.

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Adam Tooze: Crashed

Adam Tooze, Crashed, Zehn Jahre Finanzkrise

Quelle: Siedler

Der britische Wirtschaftshistoriker Adam Tooze hat mit "Crashed" ein Parallelwerk zu seinem Buch "Sintflut. Die Neuordnung der Welt 1916 - 1931" erarbeitet. Der Ausbruch der großen Krise 2008 sei wie damals der Beginn für eine Neuordnung der Welt gewesen, und wie damals sei eine Krisendimension erreicht worden, die wenigen Personen einen übergroßen Einfluss gab. Adam Tooze entwickelt eine profunde und faktenreiche Analyse, indem er einerseits die Bankenkrise in einen größeren politischen und geopolitischen Kontext einordnet und andererseits den Ablauf der Krise über die Ökonomie des Finanzsystems entschlüsselt. Für den schnellen Leser ist das nichts, wenn auch flüssig zu lesen.

Am Ende schießt Tooze über das Ziel hinaus. Die "zweite Neuordnung der Welt" ist mit dem Blick auf die Finanzkrise und ihre Folgen alleine weder zu erfassen noch zu verstehen.

Lesen Sie hier die ausführliche Rezension von Michael Hüther.

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Timothy Snyder: Der Weg in die Unfreiheit

Timothy Snyder C. H. Beck Unfreiheit

Quelle: C. H. Beck

Für den Autor agiert Russland wie ein böser Arzt westlicher Demokratien, der alles dafür tut, dass es dem Patienten schlechter geht. Gerade deshalb sollte man die Diagnosen des feindlichen Arztes ernst nehmen. Sie zeigen deutlich die eigenen Schwächen. Snyder, der an der Yale University lehrt, will in "Weg in die Unfreiheit" viel: die Feinde der liberalen Gesellschaften beschreiben, eine Geschichte der Gegenwart skizzieren und eine Politik zur Verteidigung der Demokratien ermöglichen.

Der Autor erzählt vom Aufkommen faschistischer Ideologie in Russland, von der ukrainischen Revolution der Würde, auf die Putins Annexion der Krim und der unerklärte Krieg gegen die Ukraine folgten. Er rekapituliert den Brexit, streift die Entwicklung in Polen und den Aufstieg der AfD, um mit den russischen Kontakten Donald Trumps zu enden. Eingebettet aber ist die kurze Geschichte all dessen, was Timothy Snyder beunruhigt, in eine Diagnose zum Zeitgefühl der Gegenwart. Das Buch mischt so Zeitgeschichtsschreibung und liberale Erweckungspredigt, und dabei leidet beides. Der Historiker wird ungenau, der politische Kommentator verfehlt entscheidende Punkte.

Lesen Sie hier die ausführliche Rezension von Jens Bisky.

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Bob Woodward: Furcht

Bob Woodward, Furcht

Quelle: Rowohlt

"Furcht" dürfte viele progressive Amerikaner bestärken, die Macht dieses Präsidenten beschneiden zu wollen. Woodward rechnet damit, dass seine Schilderungen auch irgendwann die Trump-Hochburgen erreichen: Es sei stets "ein langer Prozess", bis Informationen "ihre Wirkung entfalten" würden. Bei Nixon sei das nicht anders gewesen.

Wie ein roter Faden zieht sich die Beratungsresistenz des 45. US-Präsidenten durch Woodwards Werk, von dem in den USA schon eine Million Exemplare verkauft wurden. Das Buch legt offen, was die Mitarbeiter der zerstrittenen Regierung verbindet: Furcht vor dem Egozentriker. Den Menschen außerhalb des Weißen Hauses nimmt Woodward die Hoffnung, dass sich Trump ändern könnte: Er sei getrieben von der Angst, als Schwächling dazustehen, und hasse Kurskorrekturen. Für Woodward, dessen Watergate-Recherchen zum Rücktritt von Richard Nixon 1974 führten, ist Trump schon der neunte US-Präsident, dem er ein Buch widmet. Es liegt an dieser Erfahrung, dass "Furcht" einen Ehrenplatz im Kanon der Trump-Bücher finden wird.

Lesen Sie hier die ausführliche Rezension von Matthias Kolb.

© SZ.de/jlag/cag/rus
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