Literatur:Über Dichter und Henker

Literatur: Mit einem Roman über Georg Trakl debütierte Martin Beyer vor zehn Jahren, demnächst erscheint sein neuer Roman "Und ich war da".

Mit einem Roman über Georg Trakl debütierte Martin Beyer vor zehn Jahren, demnächst erscheint sein neuer Roman "Und ich war da".

(Foto: Olaf Przybilla)

Der Bamberger Autor Martin Beyer wird in Klagenfurt beim Bachmann-Preis antreten - mit einem historischen Roman

Von Olaf Przybilla, Bamberg

Nun wird man sich also wiedersehen, nur in ganz anderer Formation. An der Universität Bamberg war der Germanist Martin Beyer einst der Tutor der Studentin Nora Gomringer, beinahe 20 Jahre ist das her. Bei den Tagen der deutschsprachigen Literatur dagegen, die von Mittwoch an in Klagenfurt stattfinden, wird die Rollenverteilung eine ganz andere sein. Beyer liest, Gomringer wird das anschließend zu bewerten haben. Sie ist eines von sieben Jurymitgliedern und die einzige, die diesen für Literaten nicht ausschließlich erquicklichen Wettstreit - stets changierend zwischen Hochamt und Hausschlachtung der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur - von beiden Seiten kennt. Gomringer hat dort 2015 gewonnen, sie ist seither "Bachmann-Preisträgerin".

Des Wettbewerbs wegen und der etwas heiklen Konstellation halten beide momentan Abstand - so gut das eben geht in einer 78 000-Einwohner-Stadt wie Bamberg, in der beide zuhause sind. Aber Beyer, 42, hat sich von Gomringer trotzdem über Grundlagen aus dem Klagenfurter Kosmos informieren lassen dürfen, wenn auch nicht persönlich. Gomringer hat kürzlich eine Art Handreichung für den Bachmann-Kontest veröffentlicht. Den Wettstreitern dürfe sie empfehlen, Lesetempo und Outfit klug zu wählen: "Sollten Sie gewinnen oder auch nur am Eröffnungstag lesen, sind Sie überall ständig zu sehen damit." Gomringer schaffte es damals gar in die Tagesschau, samt Outfit. Und am Tag der Preisverleihung? "Wasserflasche, Sonnenbrille, kleinen Snack, Sonnencreme und evtl. Kopfbedeckung und aufgeladenes Handy! Weil die Dreharbeiten des ORF danach evtl. überfordernd intensiv sind." Das Hochamt der deutschsprachigen Literatur? Eine Gomringer weiß dergleichen zu erden.

Um das Jahr 2000 herum hatten Beyer und Gomringer gar mal ein gemeinsames Projekt in Bamberg. Sie war da gerade auf dem Weg steil nach oben, als Poetry-Slammerin. Mit praller Sprechlyrik kann einer wie Beyer nicht viel anfangen, die Texte in einem Kleinverlag herauszugeben, erschien aber auch ihm reizvoll. Nur ließ man das bald wieder sein, "zum Glück", sagt Beyer. Er gehört einfach nicht in diese Ecke. Für Gomringer dagegen - heute Chefin des Künstlerhauses Villa Concordia in Bamberg - war der Slam eine ideale Startrampe, um sich einen Namen zu machen.

Wer Martin Beyer trifft - übrigens im selben Café, in das auch Gomringer Bambergbesucher einzuladen pflegt -, wird rasch feststellen, was die beiden unterscheidet. Der Diplomgermanist, der über den Mythos bei Christa Wolf promoviert hat, formuliert bedächtig, tastet sich in seinen Sätzen regelrecht nach vorne. In derselben Zeit dürfte Gomringer auf den doppelten Wortausstoß kommen. Und natürlich schlägt sich das auch in Beyers Literatur nieder. Sein Debüt in einem der großen Verlage, der Roman "Alle Wasser laufen ins Meer" bei Klett-Cotta, war beeindruckend. Da schrieb ein Mann Anfang 30 einen Roman über das Lebensdrama des Georg Trakl, über dessen Drogenexzesse, sich abzeichnende Depressionen, seine Kriegsteilnahme in Galizien, den frühen Tod durch eine Überdosis Kokain und den mutmaßlichen Inzest mit seiner Schwester Grete.

Kein Stoff, der aufs große Publikum zielt, zumal Trakls verschränkte Hermetik eher Spezialisten anzieht. In Beyers Buch ist das ironisch gebrochen, etwa wenn über dessen Lyrik in einem Dialog zwischen Trakl-Kennern zu lesen ist: "Sie meinen diese besondere Art zu dichten, nach der man sich am liebsten gleich vor einen Zug werfen oder von einer Brücke schmeißen möchte, wenn man die Dinger gelesen hat." Beyer, ganz promovierter Germanist, hat sich tief eingegraben in die Materie, am Ende aber waren viele unzufrieden. Die Trakl-Gemeinde, weil sich da einer erdreistete, biografische Leerstellen auszufüllen, wenn es ihm dramaturgisch notwendig erschien. Die Rezensenten großer Blätter, weil sich im Gegenteil das Imaginierte nur allzu erdenschwer löste von den Vorgaben dokumentierter Faktizität - und da einer den Verdacht nicht auszuräumen wusste, er habe sich als Debütant an die Fersen eines literarischen Mythos heften wollen.

Unbeachtet blieb dabei die stille Eleganz, mit der Beyer das Inzestmotiv psychologisierte und sich auf 240 Seiten nicht aufdringlicher vorwagte als zur Passage: "Nur, Georg konnte sich ja nicht einmal um sich selbst kümmern. Ein weinroter Mund, Lippen, die sich bewegten, das Siegel war gebrochen. Er hatte Schuld in ihr Leben gebracht. Jetzt würde er dafür büßen müssen." Zu schweigen vom Kriegskapitel, in dem sich andeutete, dass Beyer den Katastrophen des Jahrhunderts sprachlich gewachsen ist. Wie dem auch sei: In den Buchläden floppte das Trakl-Werk. Und Beyer schrieb anschließend für die Schublade.

Bis 2013, da erschienen seine "Mörderballaden", die mit dem Bayerischen Kunstförderpreis ausgezeichnet wurden. Die Jury lobte "die leisen Stimmen", mit denen die Figuren in den 13 modernen Moritaten sprechen. Das ist gut gesagt, wobei man sich bestimmte Geschichten aus dem Band viel voluminöser intoniert hätte wünschen können. Kann man die Geschichte der De-facto-Hinrichtung von Erik Jan Hanussen auf neun Seiten psychologisch ergründen? Hanussen, dieser selbsternannte Hellseher mit jüdischen Wurzeln und Sympathien auf Seiten der Nazis, bietet viel mehr Stoff als nur für ein erzählerisches Spotlight. Womöglich fehlte dem Erzähler Beyer in der Zeit einfach das Selbstvertrauen.

Andererseits: Große Sujets auf sehr schmalem Raum erzählen, das kann Beyer. In Klagenfurt könnte ihm das jetzt von Nutzen sein. Er liest dort die Geschichte des fiktiven Bauernsohnes August Unterseher, der an den Hinrichtungen der Geschwister Scholl teilnimmt - als Helfer des historisch verbürgten Henkers Johann Reichhart, von dessen Hand 3000 Menschen getötet wurden. Ende August wird bei Ullstein Beyers Roman "Und ich war da" erscheinen. Er geht der Frage nach, wie so ein Jedermann wie Unterseher zum Handlanger eines Menschenschlächters werden kann. In Klagenfurt wird Beyer ein Kondensat dieses Stoffes lesen.

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