Literatur über Berlusconi:Wenn das Fernsehen schweigt

Die Macht der Literatur: Regierungskritische Bücher finden in Italien reißenden Absatz. Neuzugang ist ein eilig geschriebenes Buch über Berlusconis Umgang mit Frauen und Macht: "Papi".

Henning Klüver

"Papi" nennt die 18-jährige Noemi Letizia aus dem neapolitanischen Hinterland ihren väterlichen Freund Silvio Berlusconi. Eine Affäre mit dem Teenager hat der italienische Regierungschef stets dementiert. "Papi" lautet auch der Titel eines Buches, das vom heutigen Montag an in den italienischen Buchhandlungen ausliegen wird - und der verniedlichende Begriff ist durchaus ironisch gemeint.

Literatur über Berlusconi: Die 18-Jährige und der "Papi": Silvio Berlusconi hat eine Affäre mit Noemi Letizia stets dementiert. Die Autoren von "Papi" untersuchen, wie in Italien Showgirls in politische Ämter gehievt wurden.

Die 18-Jährige und der "Papi": Silvio Berlusconi hat eine Affäre mit Noemi Letizia stets dementiert. Die Autoren von "Papi" untersuchen, wie in Italien Showgirls in politische Ämter gehievt wurden.

(Foto: Foto: dpa)

Die Autoren Peter Gomez, Marco Lillo und Marco Travaglio wollen das Privatleben Berlusconis durchleuchten, das längst Gegenstand öffentlicher Debatten geworden ist. Es soll in dem Buch freilich weniger um Noemi und um ihren wahren, ihren leiblichen Vater gehen, der wohl enge Beziehungen zur neapolitanischen Mafia unterhielt, als um vergleichbare Verflechtungen des 72-jährigen Ministerpräsidenten aus der jüngsten Vergangenheit. Natürlich werden auch die ausschweifenden Feste in Berlusconis römischen Gemächern im Palazzo Grazioli oder in seiner Luxusvilla La Certosa auf Sardinien, an denen junge Damen beteiligt waren, untersucht.

Die Autoren wollen überprüfen, wie die Showgirls, die sogenannten Veline, in politische Ämter gehievt werden sollten. Hat der mächtigste Mann Italiens sich erpressbar gemacht? Waren gar Geheimagentinnen im Spiel? Das zumindest will Peter Gomez nicht ausschließen. Wie kann ein Politiker, der sich selbst ins Umfeld der Prostitution begibt, Gesetze verantworten, die die Prostitution bekämpfen? Wie den Konsum von Drogen unter Strafe stellen lassen, wenn auf seinen Festen ebenfalls Drogen konsumiert werden?

Das 320 Seite starke Buch, das im Mailänder Verlag Chiarelettere erscheint, haben die Autoren angeblich innerhalb von nur zwei Wochen geschrieben. Aber, so Gomez im Gespräch mit der SZ, viel von dem aufbereiteten Material zirkuliere bereits seit Jahren.

Der Verlag, der vor zwei Jahren gegründet wurde, konzentriert sich programmatisch auf regierungskritische Themen. Diese reichen von den dunklen Spuren, die aus Italiens Nachkriegsgeschichte bis in die Gegenwart hineinragen ("Profondo Nero" von Giuseppe Lo Bianco und Sandra Rizza), bis zur politischen Strategie, sich eine handzahme Justiz heranzuzüchten ("Toghe rotte" von Bruno Tinti). Den Titeln des kleinen Verlages ist mehrfach der Sprung in die Bestsellerlisten gelungen - jüngst mit einem Buch über die Geschäfte des Vatikans ("Vaticano S.p.A." von Gianluigi Nuzzi).

Verlagsleiter Lorenzo Fazio nennt "Papi" eine Ausnahme von der Regel. Man habe immer den Anspruch besessen, sorgfältig aufbereitete Bücher herzustellen. Aber manchmal müsse man eben schnell reagieren. Und wenn das Fernsehen - von wenigen Ausnahmen wie der Sendung "Report" im dritten Kanal der Rai abgesehen - auf kritische Untersuchungen verzichtete und die Zeitungen häufig konfus berichteten, dann müssten eben "die Bücher ran". Weil viele Geschichten häufig so verstrickt und kompliziert seien, dass man den "Atem eines Romans" brauche, um sie darzustellen.

Lesen Sie weiter auf Seite 2, wie Berlusconis Partyausschweifungen totgeschwiegen werden sollten.

Boom der Bücher

Chiarelettere ist nicht der einzige Verlag, der solche Bücher herstellt. In Italien hat sich geradezu ein eigenes Genre an Oppositionsliteratur gebildet. Angefangen hat diese Entwicklung vor rund 15 Jahren. Neben der traditionellen, politisch-sozialen Sachbuchreihe "Serie Bianca" von Feltrinelli tauchten plötzlich aggressiv aufgemachte Bücher des Kaos-Verlages auf - oft mit antiklerikaler Stoßrichtung.

Der ehemals kommunistische Verlag Editori Riuniti machte sich dann mit den ersten kritischen Untersuchungen des Berlusconi-Imperiums einen Namen. Der im römischen Verlag erschienene Titel "L'odore dei soldi" (Der Geruch des Geldes) von Marco Travaglio führte 2001 zu einem Presseskandal, als die gerade wieder an die Macht gekommene Berlusconi-Regierung den Moderator einer Rai-Sendung abstrafte; er hatte Buch und Autor ausführlich vorgestellt.

Auch andere Journalisten erhielten Auftrittsverbote im staatlichen Fernsehen. Bestimmte Themen sollten in der Rai gar nicht mehr behandelt werden - von privaten Berlusconi-Sendern ganz zu schweigen. Zum ersten Mal machte damals der Begriff "Regime" die Runde.

Klatsch-Ministerium

In dieses "Informationsloch" stieß ein in Italien bereist totgesagtes Medium vor: das Buch. Die Rizzoli-RCS-Gruppe, ein Hüne im italienischen Verlagswesen, entwickelte die Reihe "Futuropassato" mit Untersuchungen über die Mafia, die Finanzwelt und die Politik - und wurde prompt zum Marktführer. Rund 50 Titel liegen bis heute vor, die Auflagen schwanken in der Regel zwischen 10.000 und 20.000 Exemplaren.

Der erfolgreichste Titel verkaufte sich bislang rund 1,2 Million Mal: Sergio Rizzo und Gian Antonio Stella trafen mit ihrer Analyse der "unantastbaren politischen Klasse" Italiens ("La casta") offenbar den Nerv der Leser. Man bohre, so der RCSHerausgeber Ottavio Di Brizzi, dort weiter, wo das Fernsehen und die Zeitungen nachzufragen aufhörten. Gerade Jugendliche seien an alternativen Informationsquellen interessiert.

Diese Bücher verdanken ihren Erfolg auch dem Internet. Chiarelettere hat ein "social network" eingerichtet (www.chiarelettere.it), in dem die Inhalte laufend aktualisiert werden und Leser Stellung nehmen können. Der Blog "Ich will aussteigen" (www.voglioscendere.it) von Peter Gomez, Marco Travaglio und anderen ist gerade mit dem internationalen Journalistenpreis "Premio Ischia" ausgezeichnet worden. Travaglio hatte bereits im April in Berlin den Preis der Pressefreiheit des Deutschen Journalistenverbandes erhalten. Peter Gomez sagt denn auch, ohne die Beschneidung der Pressefreiheit in Italien wäre der Boom dieser Bücher gar nicht möglich.

Und jetzt kommt "Papi". Es passt zum kulturellen Klima im Land, dass sich die Frage nach dem Stellenwert der Pressefreiheit in Italien ausgerechnet an einer Geschichte aus dem Klatsch- und Tratschbetrieb entzündet hat. Altan, der Karikaturist des römischen Wochenblattes L'espresso, hatte es bereits vor einem Jahr vorausgesehen: "Wir bräuchten ein Ministerium für Gossip - mit der Zuständigkeit auch für Zensur."

Seit dem Eintritt Berlusconis in die Politik kontrolliert er als Unternehmer nicht nur die wichtigsten privaten Fernsehsender (Mediaset), sondern übt als Regierungschef auch Einfluss aufs öffentlich-rechtliche Fernsehen aus. Das wurde deutlich, als kurz vor den Europawahlen der neue Nachrichtenchef von Rai Uno versuchte, Berlusconis Partyausschweifungen totzuschweigen.

Medien-Maulkorb

Derweil rief Berlusconi kürzlich Unternehmer dazu auf, keine Anzeigen in Zeitungen zu schalten, die regierungskritisch berichten. Umberto Eco kommentierte nun in L'espresso, das Problem Italiens sei nicht Berlusconi - sondern die Italiener, welche ihn wählen und seine Politik hinnehmen würden. Wenn in diesem Land die Pressefreiheit in Gefahr sei, dann deshalb, weil die Mehrheit der Italiener sich nicht dafür interessiere, so Eco. Er selbst wolle zu denen gehören, die nein sagen, auch wenn er wisse, dass das "überhaupt nichts nützt."

Eco spielt auf ein Gesetz an, das den Medien einen Maulkorb verpassen will. So sollen Informationen von polizeilichen Abhörmaßnahmen nicht mehr veröffentlicht werden. Es geht um Protokolle wie jenes, durch das bekannt wurde, wie Silvio Berlusconi sich bei dem mit ihm befreundeten Leiter der Fernsehspielabteilung der staatlichen Rai für Auftritte junger Schauspielerinnen starkgemacht hatte - und zwar zu einem Zeitpunkt, als die Prodi-Regierung 2006 kurzfristig die Macht übernommen hatte. Einige Abgeordnete der damaligen Regierungsmehrheit der linken Mitte hatten offensichtlich ein persönliches Interesse, den Damen Fernsehpräsenz zu verschaffen. Erfülle man ihren Wunsch, so Berlusconi am Telefon zum TV-Boss, könne man diese Abgeordneten vielleicht überzeugen, aus der knappen Prodi-Mehrheit im Senat auszuscheiden.

Bevor es endgültig verboten wird, solche Protokolle nicht nur im Wortlaut zu veröffentlichen, sondern auch ihre Inhalte und Hintergründe transparent zu machen, hat Gianni Barbacetto im Mailänder Melampo Verlag schnell ein Buch aus der Causa gemacht: "Se telefonando" ("Wenn sie telefonieren"). Untertitel: "Die Abhörprotokolle, die ihr nie wieder lesen werdet."

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