Brillanter Provokateur Gore Vidal:Amerikas "ungewählter Schattenpräsident" ist tot

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Scharfzüngig und oft auch zynisch nahm er die Gesellschaft der USA aufs Korn. Schließlich betrachtete Gore Vidal seine Heimat als "Imperium", kriegslüstern, raffgierig und in vieler Hinsicht dem Römischen Reich ähnlich. Nun ist der politisch engagierte US-Schriftsteller in Los Angeles gestorben. Er wurde 86 Jahre alt.

Es gibt nur wenige Politiker, die Gore Vidal nicht mit seiner Feder aufgespießt hat. Dem früheren US-Präsidenten Franklin D. Roosevelt warf er vor, den Angriff der Japaner auf Pearl Harbor vorsätzlich provoziert zu haben. In der Amtszeit von George W. Bush setzte er sich aktiv für die Absetzung des Präsidenten ein. Gore Vidal, der am Dienstag in seinem Haus in den Hollywood Hills nahe Los Angeles an einer Lungenentzündung starb, war ein brillanter Provokateur, Romancier, Eassayist, Dramaturg und Drehbuchautor.

"Er hat Durchblick, ist witzig und schreibt unglaublich klar", zollte der britische Erfolgsautor Martin Amis seinem Kollegen Respekt. Scharfzüngig und oft auch zynisch nahm Vidal die Gesellschaft seiner Heimat aufs Korn. "Stil ist zu wissen, wer du bist und was du zu sagen hast, und dich nicht darum zu kümmern, was andere denken", soll er einmal gesagt haben. Dabei stammte er selbst aus der High Society, war entfernt mit dem Kennedy-Clan verwandt.

In seinen Büchern und Aufsätzen geißelte er die USA als "Imperium", expansionsbeflissen, kriegslüstern, raffgierig und in vieler Hinsicht dem Römischen Reich ähnlich.

Vidal selbst strebte zwei Mal vergeblich eine politische Karriere an, scheiterte jedoch trotz wohlwollender Förderung von John F. Kennedy. Obwohl er weder mit seiner Kandidatur als demokratischer Kongressabgeordneter im Jahr 1960 noch für einen Sitz im Senat im Jahr 1982 erfolgreich war, betrachtete er sich selbst gern als "ungewählten Schattenpräsidenten", wie die New York Times schreibt. "Es gibt nicht ein menschliches Problem, das ich nicht lösen könnte, wenn die Menschen einfach meine Ratschläge befolgen würden", zitiert ihn das Blatt.

Stets politisch zu denken, hatte er von seinem Großvater mütterlicherseits gelernt. Thomas Pryor Gore war blind, ließ sich durch die Behinderung aber nicht von seiner Laufbahn abbringen.

Sein Stiefvater war der Stiefvater von Jacqueline Kennedy

Voller Bewunderung nahm Vidal den Nachnamen des Großvaters als Vornamen an. Vorher hatte der am 3. Oktober 1925 in der Militärakademie West Point bei New York geborene Vidal Eugene Luther geheißen. Diesen Namen hatte sein Vater, ein Oberleutnant, für ihn ausgewählt.

Nach der Scheidung heiratete seine Mutter, eine bildschöne Schauspielerin, erneut: Vidals Stiefvater Hugh Auchincloss war später auch der Stiefvater von Jacqueline Kennedy.

Nach dem Universitätsabschluss diente Vidal im Zweiten Weltkrieg als First Mate (Nautischer Offizier) auf einem Transportschiff des Army Transportation Corps auf den Aleuten in Alaska. Danach begann er einen Job als Lektor in einem New Yorker Verlag.

Weil aber bereits sein erster in diesem Verlag veröffentlichter Roman "Williwaw" über seine Zeit als junger Offizier im Krieg ein großer Erfolg wurde, gab Vidal den Job als Lektor bald wieder auf. Stattdessen reiste und schrieb er viel. Bereits mit seinem nächsten Buch schockte er 1948 das bürgerliche Amerika. In "Geschlossener Kreis" setzte er sich für Homosexuelle ein und ließ seine eigenen Neigungen erkennen. Der Roman zählt zu den ersten literarischen Werken des 20. Jahrhunderts, in dem Homosexualität offen und ausführlich zur Sprache kommt.

Schriftsteller, Intellektueller, Provokateur: Gore Vidal - hier zu sehen auf einem Foto von 1974 - ist im Alter von 86 Jahren an den Folgen einer Lungenentzündung gestorben.  (Foto: AP)

Vidal selbst liebte Männer und Frauen, hatte nach Angaben seiner Kollegin Anaïs Nin eine Affäre mit ihr und war auch kurz mit der Schauspielerin Joanne Woodward verlobt, bevor sie Paul Newman heiratete. Er selbst entdeckte 1950 in Howard Austen seinen Lebenspartner und blieb bis 2003 - Austens Todesjahr - mit ihm zusammen.

Nach "Geschlossener Kreis" verfasste Vidal lange unter dem Pseudonym Edgar Box Krimis. Weitere Pseudonyme, die er benutzte, waren unter anderem Cameron Kay und Katherine Everard.

Den Durchbruch zu literarischem Weltruhm schaffte er zwei Jahrzehnte später mit "Myra Breckinridge", der Story des Homosexuellen Myron, der sich nach der Umwandlung seines Geschlechts als Myra in Hollywood durchschlägt.

Mit 24 Romanen, einem halben Dutzend Theaterstücken, doppelt so vielen Drehbüchern ("Ben Hur"), mehr als 200 Essays und einer Autobiografie ("Palimpsest") hat Vidal im Verlauf von sechs Jahrzehnten ein vielfach preisgekröntes Oeuvre produziert.

"Herrischer Störenfried"

Allerdings wurde er im Literaturbetrieb seines Landes niemals heimisch und die Abneigung beruhte auf Gegenseitigkeit. Außer dem National Book Award, den er 2009 für sein Lebenswerk erhielt, gewann er keinen großen Literaturpreis. Er weigerte sich zunächst, der American Academy of Arts and Letters beizutreten, wobei er witzelte, er habe bereits eine Mitgliedschaft beim Diners Club. 1999 wurde er dann doch in die Academy aufgenommen.

Dennoch war Vidal als unabhängiger Geist weithin anerkannt, ganz in der Tradition von Mark Twain. Kein anderer spottete so sehr über die Kollegen wie er, als die drei traurigsten Worte der englischen Sprache nannte er sogar einmal "Joyce Carol Oates" - die Kollegin hatte den National Book Award lange vor ihm erhalten (1970). Die Los Angeles Times bezeichnete ihn als "herrischen Störenfried des nationalen Gewissens".

Gemeinsam mit Autoren wie Norman Mailer oder Truman Capote gehörte er zur letzten Generation US-amerikanischer Schriftsteller, die auch außerhalb der Literaturszene als regelrechte Berühmtheiten galten. Er war unter anderem mit Jack Kerouac, Tennessee Williams, Orson Welles, Marlon Brando und Frank Sinatra befreundet. Anekdoten über seine berühmten Freunde baute er gerne in seine Schriften ein. Daneben betätigte er sich auch selbst als Schauspieler. So spielte er unter anderem in Federico Fellinis Film "Roma" sich selbst.

Unbehagliches Deutschland

Obwohl in Deutschland viele seiner Bände erfolgreich verlegt wurden, empfand Vidal bei dem Gedanken an die "Germanenstämme" öfter Unbehagen. 1993 notierte er vor einer Reise auf Einladung seines Verlages: "Lange war ich eine Unperson in Deutschland - wie jeder Kritiker des amerikanischen Imperialismus, dessen östlichste Provinz Deutschland war."

Seinem Lebensende ging Vidal als einsamer Mann entgegen. Er habe vor seinem Tod schon länger alleine und krank in seinem Haus gelebt, sagte sein Neffe Burr Steers der Nachrichtenagentur AP. Der Glauben dürfte ihm dabei kaum Trost gespendet haben: "Weil es keinen kosmischen Punkt in dem Leben gibt, das jeder von uns in der fernen Asche am Rande der Galaxis wahrnimmt, gibt es umso mehr gute Gründe dafür, in einem guten Gleichgewicht bei dem zu bleiben, was wir hier haben. Denn es gibt nichts anderes", hatte er einst geschrieben.

© Süddeutsche.de/dpa/AP/gal/pak - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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