Literatur:"Sonst wäre es wie Trockenschwimmen"

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Die Münchner Autorin Lilian Loke erhält den Tukan-Preis für ihr Debüt "Gold in den Straßen"

Interview von Yvonne Poppek, München

Worauf die meisten Autoren vergeblich warten, ist Lilian Loke mit ihrem Debüt gleich zweimal gelungen: Loke, 1985 in München geboren, erhielt für ihren Roman "Gold in den Straßen" (Hoffmann und Campe) zunächst den Bayerischen Kunstförderpreis. An diesem Mittwoch wird sie zudem mit dem Tukan-Preis der Stadt München ausgezeichnet. "Gold in den Straßen" handelt von dem Aufstieg und Fall des jungen, karriereorientierten Immobilienmaklers Thomas Meyer. Lilian Loke hat für ihr Debüt unter anderem die Erfahrungen aus ihrem Berufsalltag nutzbar gemacht: Sie arbeitet als PR-Beraterin in München.

SZ: Frau Loke, Sie haben nun zwei Preise kurz hintereinander für Ihren Debütroman erhalten. Haben Sie jetzt Angst vor künftigen Erwartungen?

Lilian Loke: Durch die Preise nicht. Es ist eher meine eigene Erwartung an mich, dass der nächste Text mindestens so gut oder hoffentlich besser wird.

Also hat sich Ihre eigene Erwartung vergrößert?

Die Preise haben mich eher beruhigt. Weil ich festgestellt habe: Ich kann nicht alles falsch gemacht haben. Es gibt mir Sicherheit in dem, was ich tue.

Sie befürchten keine Schreibblockade?

Ich schreibe jetzt schon länger am zweiten Roman. Es läuft gut, deswegen habe ich keine Angst. Aber meine Erwartung ist schon, dass ich mich weiterentwickle.

Das klingt, als hätten Sie einige Kritikpunkte an Ihrem Debüt.

Nein, ich meine nicht, dass etwas fehlerhaft ist am ersten Buch. Ich sehe einfach, wie meine Entwicklung ist, seit ich schreibe. Und das ist eben eine Entwicklung - und ich will nicht, dass das jetzt aufhört. Ich bin sicher noch nicht fertig als Schreiber. Ich glaube, dass ist man nie.

Sie haben sich ein Wirtschaftsthema für "Gold in den Straßen" ausgesucht. Ist das auch das Thema des zweiten Buches?

Mich interessiert der Bereich. Er wird auch im zweiten Buch mitschwingen, aber der Text wird einen ganz anderen Fokus haben. Ich glaube, dass Wirtschaft ein Bereich ist, der alles Gesellschaftliche durchzieht. Und deshalb kann ich ihn nie ganz ausblenden, wenn ich gesellschaftliche Themen ansprechen möchte.

Sie haben einmal in einem Interview gesagt, dass Ihnen die Recherche wichtig ist. Erweitern Sie für das neue Buch Ihr Rechercheumfeld?

Das tue ich, mein Rechercheumfeld wird größer. Zum neuen Buch möchte ich noch nicht zu viel verraten, aber die Recherche ist für mich eine wichtige Grundlage für jeden Text. Ich habe ja Literaturwissenschaft studiert, deshalb wollte ich als Additum einen wirtschaftlich ausgerichteten Berufsalltag, damit ich in der freien Wirtschaft Vorgänge mitbekomme und diese auch verstehe. Sonst wäre es wie Trockenschwimmen.

Und wie sieht es mit den Figuren aus. In Ihrem Debüt war die zentrale Figur um die 30, in Ihrem Alter. Was kommt jetzt?

Ich richte meine Figuren immer nach der Geschichte aus. Zuerst habe ich das Thema und eine Frage, dann suche ich eine Geschichte, die dieses Thema so durchspielen kann, dass sie für mich die Frage besser beleuchtet. Dann entstehen die Figuren durch die Geschichte. Und am Ende bekomme ich während des Schreibens hoffentlich ein paar Antworten für mich und hoffentlich auch für andere.

Demnach haben Sie viele Fragen an die Welt?

Ja. Das ist, glaube ich, auch ein Grund, warum ich sehr stark in der Gegenwart verhaftet bin mit meinen Geschichten. Im Prinzip sind es sehr alte Fragen, allgemeingültige Fragen, die ich im Kontext der Gegenwart stelle. In meinem Debütroman stelle ich die Frage nach Wert. Wie wird Wert generiert? Ich stelle die Frage nach dem menschlichen Wollen. Was für Konsequenzen hat dieses Wollen, sind wir uns überhaupt im Klaren, warum wir etwas wollen und warum wir es dann wieder nicht wollen? Das ist ein bisschen das, was Schopenhauer gesagt hat: Sobald ein Wunsch erfüllt ist, verliert das Ganze seinen Reiz. Dann muss sich ein neues Wollen, ein neuer Wunsch einstellen. Wenn sich dieser nicht einstellt, folgt Langeweile, die ebenso quälend sein kann wie der unerfüllte Wunsch. Das sind Mechanismen, die ich in der Gegenwart untersuchen wollte.

Sie arbeiten ja immer noch Vollzeit als PR-Beraterin, wann kommen Sie eigentlich zum Schreiben?

Konkret schaue ich morgens in den Text, in Mittagspausen, nach der Arbeit, am Wochenende, im Urlaub. Aber ich schreibe eigentlich immer in Gedanken, der Text läuft immer mit, beim Warten auf die Bahn, beim Kochen, Zähneputzen. Mein kleiner Arbeitsrhythmus, den ich mir vorgegeben habe, ist: eine Idee pro Tag. Das darf eine ganz kleine Idee sein, etwa die Überlegung, wie ich ein Kapitel arrangiere, oder ein Detail zum Charakter einer Figur.

Das klingt nach einer sehr festen Struktur, brauchen Sie das, um schreiben zu können?

Ich bin produktiver, wenn ich einen Rahmen habe. Wenn ich zu viel Zeit habe, verschwende ich auch mehr Zeit. Aber wenn ich weiß, ich habe nur eine Stunde, konzentriere ich mich; und dann kommt immer etwas Gutes dabei heraus. Für mich ist das Entspannung, schon fast Meditation. Ich bin geistig völlig im Text, es ist wie ein Film, den ich mir anschaue. Das ist keine Arbeit für mich im Sinne von Mühsal. Für mich ist Schreiben wie ein Träumen im Wachzustand.

In Ihrem Träumen wurden Sie durch zwei Preise bestätigt. Wie haben Sie eigentlich reagiert, als Sie von der Tukan-Auszeichnung erfuhren?

Ich war ungläubig, schockiert, ich habe mich sehr, sehr gefreut; und ich war sehr, sehr beruhigt. Es ist schwierig zu beschreiben, weil es so ein schönes Gefühl war. Ich habe mich frei gefühlt.

Tukan Preis 2015: Lilian Loke: "Gold auf den Straßen" , Lesung und Preisverleihung, Mi., 9. Dezember, 19 Uhr, Literaturhaus, Salvatorplatz 1

© SZ vom 08.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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