Literatur:Schweig lieber

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Der Ethnologe Kent Nerburn kommt in seinem Buch über die Lakota-Indianer den Native Americans nahe, ohne sie zu vereinnahmen.

Von Harald Eggebrecht

Am Ende wird dieses literarische Roadmovie so etwas wie eines langen Tages Reise in die Nacht, in das Massaker 1890 von Wounded Knee, als die Kavallerie 150 unbewaffnete Männer, Frauen und Kinder vom Volk der Minneconjou-Lakota niedermetzelte. Es war die letzte Bluttat an den Indianern der Great Plains.

Kent Nerburn, Jahrgang 1972, Ethnologe, Theologe, Bildhauer und Autor einiger Bücher über Native Americans, erzählt in versierter Non-Fiction-Manier von seiner in vielen Facetten erhellenden Begegnung mit dem alten Lakota-Indianer Dan. Das heißt, es ist vielmehr eine Erfahrung, denn Dan nimmt Kent mit auf eine Art Expedition quer durch die Prärie in einem alten Buick, der Dans jüngerem Freund Grover gehört. Mit dabei Dans Hund Fatback.

Es wird vor allem eine Seelen- und Bildungsfahrt für den Weißen in die Fremdheit und Verschiedenheit indianischen Denkens und indianischer Weltsicht, auch in die Abgründe des schlechten Gewissens, das jeden Weißen plagt angesichts der nahezu ununterbrochenen Schandtaten, mit denen die Indianer getäuscht, betrogen, hingeschlachtet, vertrieben, versklavt und für minderwertig gehalten wurden und werden.

Es ist also auch eine Reise in den unlöschbaren Zorn des Lakota-Indianers angesichts dieser seit Columbus' "Entdeckung" anhaltenden Geringschätzung und Verachtung durch jene, die den amerikanischen Doppelkontinent für "leer" und "unbewohnt" hielten und daher eine Geschichte nach ihrem Gusto schrieben und schreiben, als ob es die Ureinwohner und deren Geschichte nie gegeben habe.

1994 erschien Nerburns "Neither Wolf Nor Dog" erstmals, erhielt den Minnesota Book Award und entwickelte sich zum mehrmals wieder aufgelegten Bestseller, der 2017 verfilmt wurde von Steven Lewis Simpson mit Christopher Sweeney, Dave Bald Eagle und Richard Ray Whitman. Auch vierundzwanzig Jahre nach der Erstveröffentlichung hat sich am Elend und den bitteren Zuständen der Native Americans wenig geändert. Mit der Trump-Administration dürfte es den Indianern als gesellschaftliche Minderheit gewiss noch schlechter gehen.

Am Anfang dieser Geschichte wird Nerburn von einer jungen Frau angerufen, ob er nicht ihren Großvater besuchen könne in der Lakota-Reservation, der wolle ihm etwas mitteilen. Der Autor landet bei einem heruntergekommenen Haus, davor ein räderloses Auto, das dem Hund Fatback als Unterschlupf dient. Der alte Dan hat einen Haufen Aufzeichnungen gemacht und möchte, dass der erfahrene Schriftsteller diesen Wust so in Form bringt, dass daraus nicht weißer Indianerweisheitskitsch wird. Dan behandelt seinen Ghostwriter nicht gut, man streitet sich, dann verbrennt Dan eines Tages alle schriftlichen Zeugnisse zum Entsetzen des Erzählers, der sein ganzes bisheriges Bemühen in Rauch aufgehen sieht. Mit schuld ist seiner Ansicht nach Dans Freund Grover, der dem Weißen geraten hat, doch mal genau den alten Hund Fatback zu beobachten, statt wie ein Weißer draufloszureden.

Mit sehr gemischten Gefühlen lässt sich Nerburn auf die Fahrt mit den beiden ihn ständig verspottenden Indianern ein. Es wird eine Abenteuerfahrt der anderen Art, an deren Ende nicht etwa die Einsicht steht, "jetzt weiß ich, wie indianisches Denken geht, oder wie der Indianer die Welt sieht und versteht", sondern vielmehr die Erkenntnis der unauflösbaren Widerständigkeit der indianischen Sicht.

Dans und Grovers bittere Scherze über die Weißen und ihre Selbstentschuldigungsmarotten, über ihr Dauergerede im Gegensatz zum nachdenkenden und abwartenden Schweigen der Indianer lesen sich witzig und traurig zugleich.

Zu heilen gibt es nichts, das weiß Kent Nerburn nach dieser Erkenntnisfahrt. Doch dass er sich diesem ungewöhnlichen Experiment gewissermaßen ungeschützt ausliefert, macht dieses Roadmovie so anregend und glaubhaft.

Im Nachwort zur Neuausgabe von 2017 schreibt Nerburn über die Langzeitwirkungen des Buches, das sogar bei den Maoris in Neuseeland so gut ankam, dass sie es weißen Freunden weitergaben, "es würde ihnen verstehen helfen, wie die Maoris den Verlust ihrer Heimat empfinden."

Noch einmal betont Nerburn, dass Versuche von weißen Amerikanern, aus schlechtem Gewissen gleichsam selbst Indianer werden zu wollen, zum Scheitern verurteilt sind, weil man die Indianer als "Projektionsfläche für eigene Bedürfnisse" benutze. Wie man das Andere der Indianer und ihrer Welt vorbehaltlos anerkennt, ohne sie zu "Objekten der Bewunderung oder des Mitleids zu degradieren" oder ihnen eine gemeinsame Identität aufzuschwatzen, davon erzählt Kent Nerburn so eindringlich wie humorvoll.

© SZ vom 12.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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