Süddeutsche Zeitung

Literatur:Schönes Leben in Nischen

Seit 50 Jahren bereichert Peter Kirchheim mit seinem Verlag im Alleingang den Buchmarkt. Aktuell widmet er sich verstärkt der Literatur aus Iran

Von Petra Hallmayer

Es war ein ganz besonderer Willkommensgruß, mit dem Said den Flüchtling Yamen Hussein in Deutschland empfing. Nun liegt die Begegnung in Worten zwischen dem seit Jahrzehnten in München lebenden iranischen Lyriker und dem 40 Jahre jüngeren syrischen Dichter in Buchform vor. In Briefen und Gedichten entfaltet sich in "Salam Yamen / Lieber Said" ein Zwiegespräch über die Wunde Exil, den Verlust von Heimat, den unheilbaren Schmerz über deren Zerstörung und Entfremdung, ein lange nachhallender Dialog über Politik und Gewalt, die Widerstandskraft und den Trost der Sprache, Schönheit und trotzige Hoffnung, der mit einem Zitat des Dichters Faraj Bayrakdar ausklingt: "Ein einziger Vogel genügt,/ damit der Himmel nicht stürzt."

Als der Verleger Peter Kirchheim vor mehr als einem Jahr im Literaturhaus, wo sich die Literaten schließlich persönlich trafen, den Entschluss zu seinem jüngsten Projekt fasste, ahnte er nicht, was auf ihn zukam. Davon, wie diffizil es sein würde, einen wirklich guten Setzer für die arabischen Textpassagen zu finden. Dass der sechs Monate verschwinden und durch Ägypten reisen würde. Von all den Hürden und Schwierigkeiten. Doch er wollte, erklärt er, den Dialog zweier Dichter im Exil, der für ihn "ein wichtiges, intelligentes und bewegendes Beispiel für Integration" ist, unbedingt zwischen Buchdeckeln festhalten. "Geld", fügt er hinzu und lacht, "lässt sich damit natürlich nicht verdienen." Diesen Satz sagt er oft im Verlauf des Gespräches.

Peter Kirchheim macht Bücher aus Leidenschaft und Überzeugung. 1967 gründete er in Gauting die Buchhandlung Kirchheim, die später seine Frau übernahm, und begann Bücher zu verlegen. Es war eine Zeit des intellektuellen Aufbruchs, als in Kneipen auf den Tischen neben den Gläsern Bücher lagen und der Siegeszug digitaler Medien noch unvorstellbar war. Neben jungen Autoren wie Herbert Achternbusch, Werner Fritsch und Helmut Krausser veröffentlichte er viele Bände zu kulturwissenschaftlichen Themen. Mittlerweile hat sich der Markt radikal verändert. Dass der kleine Münchner Verlag dennoch überlebt hat, das ist Kirchheims Klugheit, Beharrlichkeit und Eigensinn zu verdanken.

Eigentlich gilt Spezialisierung ja als beste Überlebensstrategie für unabhängige Verlage. Tatsächlich aber hält Kirchheim es rückblickend für "eine der klügsten Entscheidungen" seines Lebens, sich nicht daran gehalten zu haben. Er hat viele Verlage reüssieren und verschwinden sehen. Sicherlich, auch er besetzt Nischen, doch stets mehrere parallel, und er sucht sich immer wieder neue. Charakteristisch für sein Verlagsprogramm war und ist die erstaunliche Vielfalt. Neben neuen zeitgenössischen Romanen stehen darin Raritäten aus dem Spätwerk von Joris-Karl Huysmans, dem Houellebecqs "Unterwerfung" zu einer kleinen Renaissance verhalf, die Reihe Edition Andechs und eine Qigong-Übungsanleitung. Das Spektrum reicht von Joan Copjecs fesselnder Auseinandersetzung mit Foucault und Lacan "Lies mein Begehren" über literarische Kinderbücher bis zur Edition Indologica Marpurgensia, für die Bestellungen von weither eingehen. "Weltweit", versichert Kirchheim, "lesen viele Indologen nach wie vor Publikationen auf Deutsch".

Statt auf Hypes, die schnelles Geld versprechen, setzt er vor allem "auf Bücher, die eine lange Lebensdauer haben". Zu seinen erfolgreichsten Titeln gehören, neben dem phänomenalen Longseller "Bioenergetik für jeden" von Alexander Lowen, Kinderbuchklassiker wie Erika Manns "Stoffel fliegt übers Meer" und Kadidja Wedekinds "Kalumina". Aber auch theoretische Standardwerke wie Käte Meyer-Drawes "Illusionen von Autonomie" oder Michael Farins Porträt der legendären weiblichen Serienmörderin Elisabeth Báthory "Heroine des Grauens" finden kontinuierlich neue Leser. Eines der größten Projekte des kleinen Verlages war die in den Feuilletons hymnisch gefeierte Gesamtausgabe von Ungaretti. "Genauso musste es gemacht werden", jubelte Die Zeit. An der Kirchheim-Ausgabe, schrieb Der Tagesspiegel, komme "künftig niemand mehr vorbei".

2013 jedoch erlebte Peter Kirchheim den Albtraum eines jeden Verlegers: Ein Lagerbrand vernichtete mehr als ein Drittel seiner Produktion, darunter den kompletten zweiten Ungaretti-Band. Der Nachdruck des aufwendig gestalteten Bandes war für ihn nicht finanzierbar, zumal er auch die Rechte neu hätte erwerben müssen. "Damit", so Kirchheim, "war die Gesamtausgabe ruiniert". Das Feuer stürzte den Einmannverlag in eine existenzbedrohende Krise. Kirchheims Frau verkaufte die Buchhandlung. Den Verlag aber wollte er unbedingt erhalten, in dem ihn seine Frau, "eine passionierte und unermüdliche Leserin", seither stärker unterstützt.

Vor zehn Jahren hat er wieder ein Herzensprojekt gestartet, eine Reihe mit Literatur aus Iran wie Sara Salars preisgekröntem Roman "Hab ich mich verirrt?", der vom Alltag und der Selbstsuche einer Frau in Teheran erzählt. Damit möchte er nicht zuletzt unser beschränktes von tief verschleierte Frauen und fanatischen Islamprediger beherrschtes Bild des Iran entzerren. Er hat als Erster die Romane von Amir Hassan Cheheltan veröffentlicht. Dass Cheheltan bald schon zu Beck abwanderte, wer Erfolg hat, nicht lange bleibt, das, so Kirchheim, "ist nun einmal das ewige Schicksal von Kleinverlagen". Man müsse lernen, sich mit den Autoren zu freuen.

Natürlich denkt der 81-Jährige oft über die Zukunft seines Verlags nach. Seine Kinder leben in Berlin, London und Spanien. Doch er hofft, Interessenten zu finden, die Teile des Programms fortführen wollen. Noch aber mag er nicht aufhören. Er plant zwei weitere Neuerscheinungen und hat viele Projekte im Kopf. Seit vier Jahren lernt er Persisch, um Manuskripte im Original lesen zu können. Die Vorstellung, sich auf eine Bank im Garten zurückzuziehen, hat für ihn nichts Verlockendes. "Es gibt für mich einfach nichts Schöneres, als Bücher zu machen."

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Quelle:
SZ vom 23.08.2018
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