Literatur:Schöne Schattenseiten

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Ariane Sommer und Roman Libbertz haben gemeinsam einen Roman geschrieben. "Lieben lassen" ist ein Schlagabtausch aus männlicher und weiblicher Sicht

Von Michael Zirnstein

Seine Fotos von der Buchmesse erinnern an die von Groupies backstage bei den Rolling Stones: Stefan Remmler und ich. Ulrich Wickert und ich. Ich bei Ilija Trojanow. Wie sich Roman Libbertz noch über Meets and Greets mit Prominenten freuen kann. Dabei hat er in seinem 38-jährigen Leben als Sohn eines Star-Anwalts und eines Mannequins, als Event-Macher für den Disko-Adel im P1 und Betreiber des Privee-Clubs, als Model, als Moderator einer Literatursendung auf Premiere . . . ja, als einer der raren neuen Schwabinger Bohemiens ("Party-Picasso", "Szene-Schiller") fortlaufend Große getroffen. Aber hier auf der Frankfurter Buchmesse trifft er seine Größen. Es sei ein Traum für ihn als Schriftsteller, hier zu sein. Und, "bämm!", er darf selber lesen. Ist er jetzt wer? Das Männermagazin GQ hat das "hochaktive Resthirn der Szene" zu seinen Männern des Monats gestellt: Trump, Carpendale, Hitler . . . Jedenfalls gehört der Münchner jetzt zu den Wahrgenommenen von Bild.de bis zum Buchjournal des Börsenblattes, seit er nach dem guten Nacht-Geschichten-Buch "Triebjagd" und drei Gedicht-Heftchen einen Roman bei einem großen Verlag (Ars Vivendi) herausgebracht hat.

Das liegt nicht zuletzt daran, dass er "Lieben lassen" gemeinsam mit Ariane Sommer geschrieben hat. Viele erinnern sich noch an die laut Bildzeitung "heißeste Partymaus" Anfang des Jahrtausends, an ihre in Mousse au Chocolat badende Porzellanhaut, an das blonde Gift mit "intellektuellem Mehrwert". Das hatte damals noch seinen Reiz für den Bunte-Leser. Auf heutige kaum die deutsche Sprache, geschweige denn irgendwelche Manieren beherrschende It-Girls schaut das Volk lustvoll lästernd herab. Damals blickte man noch neidisch zu den mit Noblesse in die Galas und Logen Hinauf-Schlawienerten empor - mit dem Kitzel, sie bald wieder fallen zu sehen. Das einte Sommer und Libbertz, als sie sich vor 17 Jahren das erste Mal bei einer Party im Münchner Parkcafé trafen.

Seitdem pflegen sie übers Internet eine Freundschaft 2.0, zur Lesung auf der Buchmesse trafen sie sich erst zum vierten Mal. Es eint die beiden auch, nach gründlicher Innenschau bei sich angekommen zu sein. Oder, wie die seit zehn Jahren in Beverly Hills lebende Hollywood-Kolumnistin, Tierrechte-Aktivistin und "Entrepreneurin" Sommer sagt: "Mit Anfang 20 habe ich viele Geschichten gemacht, heute schreibe ich sie lieber." Daran könnte der Medien-Voyeur 2015 schnell die Lust verlieren, aber Sommer und Libbertz schaffen es, die Fallhöhe von sich selbst auf die Protagonisten zu übertragen. Da ist der Hamburger Werber Tom Weiss - ein Alphamann, Jet-Setter und Narziss wie ein Patrick Bateman aus "American Psycho", nur ohne den Täter-Trieb: "Nie wollte ich den größten Schwanz haben, aber immer den schönsten." Steile Prosa. Und in der anderen Ring-Ecke die engelsgleiche Fotokünstlerin Alex Mondo (Mondo wie mondän), die reihenweise Männer beim Sex ablichtet, beim Sex mit ihr, und deren einziges Problem zu sein scheint, sich irgendetwas Neues für die Biennale in Venedig einfallen zu lassen. Ja, solche feinen Pinkel will man stürzen sehen. Und Libbertz/Sommer tun Abgründe auf, in die sie den Leser gleich mit stürzen.

Es gab keinen minutiösen Entwurf für den Roman. Nur die Absprache zwischen München und Los Angels: Erst schreibt der eine und mailt, dann textet die andere zurück. "Er" und "Sie" sind die Kapitel jeweils überschrieben, die das Kennen- und Lieben-lernen aus männlicher und weiblicher Sicht erzählen, mal im kurzen Schlagabtausch, mal mit längeren Prügelserien, mal im Clinch. Er schreibe wie ein Maschinengewehr, sagt der Dichter Libbertz, deswegen habe er eine lyrischere Erzählerin wie Sommer gebraucht. Sie wiederum fühlte sich von Libbertz inspiriert: "Als Autor ist er wahnsinnig stark. Er hat keinen Angstfilter." Gemeinsam trieben sie sich zum Äußersten. Die Klischeesprache des Werbers, der in banalen Merksätzen "Drei Dinge über . . . " (Ideen, One-Night-Stands, Liebe . . .) eine ihn zerreißende Welt ordnet. Ihr brüchig-poetisches Betrachten, ihr Sinn für Nietzsche und die Kunst, ihre pornografische Selbstzerstörung, die Zyankalikapsel stets in der Clutch. Das ist krass, plakativ, macht aber süchtig und hält wach wie Lust und Verlust in echt, wie Lieben und Verlieren. Wer hat verloren? "Er", sagt Libbertz, weil er sich "ihr" angleiche. "Beide gewinnen", sagt Sommer, weil sie sich im C. G. Jungschen Sinne in den Schatten stellen. Wenn man erst mal unten ist, kann es nur noch nach oben gehen. Vielleicht.

Ariane Sommer und Roman Libbertz , So., 1. Nov., 20 Uhr, Lost Weekend, Schellingstr. 3

© SZ vom 22.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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