Robert Menasse:Allzu überzeugt von Europa

Robert Menasse

Robert Menasse äußert sich mit Bedauern über die Fehler

(Foto: dpa)
  • Robert Menasse war bislang eine wichtige Stimme in den Feuilletons und einer, der entschlossen für Europa Partei ergreift.
  • Aber seit bekannt wurde, dass er Zitate des verstorbenen Walter Hallstein in Büchern und Reden nicht wörtlich übernommen hat, gilt er als Gefallener.
  • Menasse selbst bedauert den Fehler. Und noch aus seinen Repliken spricht die Inbrunst für die Idee eines postnationalen Europas.

Von Karin Janker

"Träumen ist das Glück, Warten ist das Leben." Das Zitat von Victor Hugo steht Robert Menasses Brüssel-Roman "Die Hauptstadt" als Motto voran. Es erzählt viel über den Autor, der manchmal den Eindruck erweckt, er mische sich deshalb in die politische Debatte, weil er das Warten leid und für seinen Traum von Europa zu streiten bereit ist. Eben das machte Menasse, zumindest bisher, zu einer wichtigen Stimme in den Feuilletons: ein erfolgreicher Schriftsteller, preisgekrönt, wortstark, noch dazu Österreicher, der in Gastbeiträgen und Interviews Partei ergreift für ein Thema, das leidenschaftliche Stimmen dringend benötigt: Europapolitik.

Nun aber stolpert Robert Menasse über seine Leidenschaft. Er gilt als Gefallener, seit bekannt geworden ist, dass er in Essays und Reden Zitate des verstorbenen ersten Präsidenten der Kommission der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, Walter Hallstein, paraphrasiert hat und diesem Sätze in den Mund legte, die Hallstein zwar sinngemäß, aber eben nicht wörtlich gesagt hat. Besonders brisant: Menasse verließ sich auf eine Information, die er vom Hörensagen kannte und im Roman völlig unproblematisch verwenden konnte: dass Hallstein seine Antrittsrede als EWG-Präsident 1958 in Auschwitz gehalten habe. Eine Fehlinformation, bei der Menasse jedoch auch jenseits des Fiktionalen, bei Auftritten blieb.

Der Furor ist groß - zumal Menasse am 18. Januar die Carl-Zuckmayer-Medaille des Landes Rheinland-Pfalz erhalten soll. Die dortige CDU-Fraktion spricht von "Geschichtsfälschung". Die Staatskanzlei indes gab bekannt, ihn dennoch auszuzeichnen: Menasse habe ein beeindruckendes literarisches Gesamtwerk geschaffen und mit seinem engagierten Streiten für die europäische Idee die Debatte über die Zukunft der EU bereichert, so die SPD-Ministerpräsidentin Malu Dreyer.

Menasse selbst wiederholte in den vergangenen Tagen immer wieder sein Bedauern über die Fehler: Im Roman seien die Zitate stimmig gewesen; in der "Vermischung von literarischen Fiktionen mit Äußerungen in europapolitischen Diskussionen" sind sie ihm offenkundig entglitten. Er bittet um Entschuldigung, zeigt sich zerknirscht angesichts all der Bösartigkeiten, die da über ihm ausgekippt werden. Er habe es nur gut gemeint. In einer wissenschaftlichen Arbeit, so der promovierte Germanist, hätte er das selbstverständlich nicht so gemacht.

Noch aus seinen Repliken spricht die Inbrunst für die Idee eines postnationalen Europas. Dabei war der 1954 in Wien geborene Menasse nicht von Anfang an so voller Begeisterung für die EU. 2010 recherchierte er einige Monate in Brüssel, um einen Roman über die dortigen Bürokraten zu schreiben. Er ging als Skeptiker hin - und kam als inbrünstiger Europäer zurück. Die Streitschrift "Der europäische Landbote" (2012), benannt nach Georg Büchners "Hessischem Landboten", zeugt davon. Die Schrift sollte zum Gerüst der "Hauptstadt" werden, der Essay zum Ausgangspunkt für den Roman.

Dass ihr Halbbruder bei aller Kunstfertigkeit ein "schlampiger Zitierer" und "alles andere als ein kühler Stratege" sei, sagt nun selbst seine Halbschwester, die Schriftstellerin Eva Menasse. Aber auch ihr geht es gegen den Strich, wie er derzeit angegangen wird - und wie dabei auch die Literatur unter Beschuss gerät.

Im vergangenen November rief Menasse zusammen mit der Politikwissenschaftlerin Ulrike Guérot und anderen die "Europäische Republik" aus und erklärte "das Europa der Nationalstaaten" für gescheitert. Dass er sich dabei nicht auf das Gewicht seiner eigenen Stimme verließ, sondern immer wieder, mit Fleiß, den Konservativen ihren Hallstein vorzitierte, wird ihm zum Verhängnis. Der Satz "Die Abschaffung der Nation ist die europäische Idee" ist Menasse, nicht Hallstein.

Menasse, der Hallstein zur Symbolfigur seines Europas machen wollte, ist nun selbst Symbol: für jemanden, der allzu sehr an eine gute Sache glaubt und sich dabei auf der richtigen Seite wähnt.

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