Süddeutsche Zeitung

Literatur:Prosapop

Die Wahrheit über das Lesen: Benedict Wells füllt die Muffathalle

Von Bernhard Blöchl

Da füllt ein deutscher Autor mal eben die (bestuhlte) Muffathalle, mit genrefreien Kurzgeschichten wohlgemerkt, und wird gefeiert wie ein Popstar. Als ob er es selbst nicht glauben kann, macht der Vorleser Handyfotos von der Bühne in den vollen Saal hinein. Hinterher stehen die Besucher stundenlang Schlange, um sich Bücher signieren zu lassen. Verlagskrise? Lesemuffel? Gedrucktes ist tot? Nicht hier, nicht an diesem Abend, den die Muffathalle, das Literaturhaus und die Buchhandlung Lehmkuhl in großer Größe organisiert haben. Weil sie wussten, dass Benedict Wells nach seinem Erfolgsroman "Vom Ende der Einsamkeit" (2016) und dem im Sommer erschienenen Geschichtenband "Die Wahrheit über das Lügen" einen neuen Beliebtheits-Zenith erreicht hat. Selbstverständlich auch in seiner Geburtsstadt.

Zum Popstar-Image, das der bescheiden auftretende, anfangs nervöse Sympath mit dem rollenden R eigentlich überhaupt nicht erfüllt, passt der musikalische Grundton der Veranstaltung. Der 34-Jährige ist ja ein sehr musikalischer Autor, er hat einen eigenen, schlicht-eleganten Ton, er erstellt Playlists, bevor er zu schreiben beginnt, und sein aktuelles Buch ist arrangiert wie ein Soundtrack. Und dann ist da noch Jacob Brass, der den Abend zum Literaturkonzert macht. Die zwei Texte, die Benedict Wells liest ("Hunderttausend" und in Auszügen "Das Franchise"), sind eingebettet in Songs von Harry Chapin, Bob Dylan, Oasis und eigenen Stücken des Münchner Songwriters. Vielleicht ist es ja das, was eine Lesung heutzutage bieten muss: die Weiterführung der Geschichten mit anderen Mitteln. Kopfkino und dessen individuelle Ausgestaltung sind laut Wells Gründe dafür, warum Bücher nie entbehrlich werden.

Ein paar Neuigkeiten entlockt der Moderator Florian Kessler dem selbsterklärten "Einzelgänger": Seit sechs Jahren arbeite er an einem Drehbuch, und sein nächster Roman spiele in den Achtzigern in den USA ("ohne Trump" also, wie er betont). Dazu schwebe Wells eine Tour mit neuer Musik von Jacob Brass vor. Es wäre zu schön.

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Quelle:
SZ vom 20.10.2018
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