Süddeutsche Zeitung

Literatur:Pionierin im Netz

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Nora Gomringer hält eine "Münchner Rede zur Poesie"

Von Antje Weber, München

"Wunderbare Rampensäue!" Mit diesen Worten lobte der Dichter Thomas Kling einmal Kollegen wie Karl Kraus, H.C. Artmann und Ernst Jandl. Der Literaturwissenschaftler Frieder von Ammon ergänzt nun: "Nora Gomringer ist eine dieser wunderbaren Rampensäue, die Kling meinte." Dass diese Lyrikerin "Mündlichkeit und Körperlichkeit" zelebrieren kann, weiß tatsächlich jeder, der einmal eine ihrer Performances erlebt hat. Nun aber sitzt Nora Gomringer im überfüllten Lyrik Kabinett und lauscht erst einmal der bewundernden Einführung Ammons, der gleich noch ihre Traditionslinien benennt: Slam Poetry, Jazzgesang, Konkrete Poesie. Nicht zu vergessen der Aspekt des Digitalen: "Sie ist nichts weniger als eine Pionierin."

Dass Nora Gomringer eine wunderbare Rampensau ist, kann sie an diesem Abend leider nicht ganz so gut ausleben wie sonst: Sie ist eingeladen, die 20. "Münchner Rede zur Poesie" zu halten und muss im Prinzip einfach vorlesen, was bereits in ein hübsches Bändchen gedruckt wurde. Der Titel ihrer Rede: "Gedichte aus/auf Netzhaut - vom Verhandeln des Poetischen im Öffentlichen". Wer da nicht sofort an Gomringers Vater Eugen denkt, hat zwei Jahre lang kein Feuilleton gelesen: In der Debatte um dessen Gedicht "avenidas", das einigen Studierenden der Alice-Salomon-Hochschule in Berlin sexistisch erschien, hat die Tochter sich immer wieder für den Vater in den Kampf geworfen. Und natürlich nimmt Nora Gomringer in ihrer Rede darauf Bezug, allerdings nur kurz: "Dieser Akt der Zensur schien die kulturelle Landschaft zu spalten", erinnert sie sich und kommentiert süffisant: "Mittlerweile ist der Text abgelöst, vielleicht erlöst worden von einem Ort, der ihn nie wirklich wollte."

Ansonsten jedoch geht es Gomringer in ihrer Rede um anderes. Als Digital-Pionierin macht sie sich insbesondere "Netzgedanken" - nicht zu vergessen die Löcher im Netz, "das Nichts zwischen dem Etwas". Das füllt sie in immer neuen Varianten: "Mein eigenes Schreiben ist mittlerweile eine Netz-Angelegenheit." Das macht sie entsprechend multimedial anschaulich - jeden erwähnten Namen illustriert ein Porträtbild, zu Fotos aus Japan trägt Gomringer passende Haikus vor, und dann zeigt sie noch das schöne Poesievideo "Vielmals", in Zusammenarbeit mit der Animationsfilmerin Cindy Schmid entstanden.

Da sie sich als "Vernetzer" ständig im Netz bewegt, weiß sie natürlich bestens über Textformen und Dichterkarrieren in den neuen Medien von Facebook bis Twitter Bescheid. Dort gehe es vor allem darum, "sich als Dichter zu inszenieren", sagt sie. Das Bild des Dichters sei dabei "ein vollkommen überholtes", eine Mischung aus Walther von der Vogelweide und Troubadix mit der Klampfe. Überhaupt gelte Lyrik vielen nur als "Vademecum für die Herzgebrochenen". Der Lyriker sei "eher männlich als weiblich, hat eher lockiges Haar als glattes, er träumt eher, als dass er sich um's Bausparen kümmert - so die Klischees meines Berufsstandes". Denen arbeitet sie entgegen. Zum Beispiel mit ihrer Reihe "Texte in natürlicher Umgebung", bei denen sie Gedichte inszeniert - mal mit Nutellaglas, mal beim Gynäkologen. Wichtig ist ihr dabei, dass "die Inhalte der Lyrik stets stärker sind und sein müssen als jede Inszenierung", die man ihr aufdrängt: "Ein gutes Gedicht kann selbst sein Dichter nicht ruinieren."

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Quelle:
SZ vom 20.02.2019
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