Kolumne "Nichts Neues":Und ewig grüßt der Spießer

Nichts Neues
(Foto: Suhrkamp/SZ-Grafik/SZ-Bearbeitung/suhrkamp)

Was uns Horváth gerade heute zu sagen hat.

Von Johanna Adorján

Es ist eine weit verbreitete Unsitte, alte Werke vor allem daraufhin zu lesen, ob sie uns gerade heute etwas zu sagen haben. Gerade heute. Von diesen zwei Worten leben Theater-Programmhefte. Was uns Schiller gerade heute zu sagen hat ... so scheint Woyzeck gerade heute von besonderer Bedeutung ... vermag uns Shakespeares "Lear" gerade heute wieder viel zu sagen. Absurd. Als könne man sich nicht für eine Zeit interessieren, die es so nicht mehr gibt. Gerade deshalb womöglich. Ist doch spannend genug.

Und trotzdem macht diese blöde Suche nach dem, was man eh schon kennt, natürlich einen wahnsinnigen Spaß. "Der ewige Spießer", Ödön von Horváths erstes (und einzig "erbauliches") Buch, kann einem zum Beispiel sehr heutig vorkommen. Der Roman erschien 1930 und handelt von einem nicht sonderlich sympathischen Münchner, Alfons Kobler, wohnhaft in der Schellingstraße, der sich auf Europareise begibt. Er träumt von einem wirtschaftlich vereinten Europa, einem "Paneuropa", nach Vorbild der USA. Auf England kann er dabei übrigens herzlich verzichten. (Auf Polen auch.)

Das Wetter im 1929 spielenden Roman ist merkwürdig, anders als früher - "auch der Golfstrom sei nicht mehr so ganz in Ordnung, hörte man in München."

Und dann benutzt Horváth auch noch das von heutigen Feuilletonisten überstrapazierte Adjektiv "sogenannt". Da bleiben zwei Herren bei einem Unfall "wie durch ein sogenanntes Wunder unverletzt". Das klingt doch wie gestern Nacht erst getippt!

Ansonsten fängt der Roman fulminant an, hält das Niveau dann nicht durchgehend, aber es finden sich immer wieder glanzvolle Höhepunkte. Als etwa am Brenner lauter unterschiedlich uniformierte Italiener den Zug besteigen, um so autoritär wie komplett irrational die Pässe zu kontrollieren. Oder als in einer Arena in Barcelona 20.000 Zuschauer miterleben, wie ein kleiner schwarzer andalusischer Stier formvollendet aufgespießt wird.

Die sogenannte Hörspielfassung aus dem Jahr 2015 ist übrigens richtig gut: Sie findet sich als BR-Podcast frei zugänglich im Internet, Regie: Bernadette Sonnenbichler, es spricht unter anderen Peter Simonischek.

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