Literatur:Nobelpreis für Elfriede Jelinek

Die österreichische Schriftstellerin erhält die Auszeichnung für "den musikalischen Fluss von Stimmen und Gegenstimmen" in ihren Werken, mit dem sie "die Absurdität gesellschaftlicher Klischees und ihrer unterjochenden Macht" offen gelegt habe. Jelinek ist die zehnte Frau, die den Preis erhält.

Gelobt wurde von der Schwedischen Akademie der Wissenschaften in Stockholm zudem die "sprachliche Leidenschaft" der 57-Jährigen. Der Sprecher der Schwedischen Akademie, der Stockholmer Publizist Per Wästberg, hat die Vergabe des Preises an die Gesellschaftskritikerin als "wunderbar" eingestuft.

Literatur: Elfriede Jelinek

Elfriede Jelinek

(Foto: Foto: ddp)

Wästberg sagte unmittelbar nach der Bekanntgabe: "Sie ist eine Autorin, die mit ihrem Zorn und mit Leidenschaft ihre Leser in den Grundfesten erschüttert." Jelinek habe dabei vor allem "die Konsumgesellschaft Österreich kritisiert, die nicht ihre eigene Vergangenheit aufgearbeitet hat". Jelineks Prosa sei ebenso einzigartig wie ihre Dramen. Die Akademie habe bei der Entscheidung nicht darauf gesehen, dass Jelinek eine Frau ist.

Das Genre der Texte Jelineks sei oft nur schwer zu bestimmen, da sie zwischen Prosa und Poesie, Beschwörung und Hymne schwebten und Theaterszenen sowie filmische Sequenzen enthielten, heißt es von Seiten der Schwedischen Akademie. Zu den bekanntesten Werken Jelineks gehört der 1983 erschienene Roman "Die Klavierspielerin", der vor drei Jahren verfilmt wurde. Mit dem Roman "Die Kinder der Toten" (1995) und seiner scharfen Kritik an den gesellschaftlichen Verhältnissen in Österreich stellte sich Jelinek in eine Linie mit Literaten wie Karl Kraus, Ödön von Horvath und Thomas Bernhard.

Geboren am 20. Oktober 1946 in Mürzzuschlag in der Steiermark, schlug Jelinek zunächst eine musikalische Laufbahn ein und studierte Kompositionslehre am Wiener Konservatorium. Später kamen Theaterwissenschaft und Kunstgeschichte hinzu. Ihre erste Gedichtsammlung veröffentlichte Jelinek 1967 unter dem Titel "Lisas Schaffen".

Unter dem Eindruck der Studentenbewegung folgten dann zunehmend gesellschaftskritische Texte, in denen sie soziale Ungerechtigkeit und männliches Machtdenken geißelte. Seit ihrer Heirat im Jahr 1974 lebt Jelinek abwechselnd in Wien und München.

Die Sprecherin des Rowohlt-Verlages, Ursula Steffens zur Auszeichnung: "Das ist wundervoll, wir freuen uns sehr, Frau Jelinek hat ein rundes und sehr engagiertes Werk". Lob kommt auch von Literatur-Kritiker Marcel Reich-Ranicki: Es sei "hoch erfreulich, dass wieder einmal eine deutschsprachige Autorin - die erste und letzte sei Nelly Sachs" den Literaturnobelpreis erhalte. Jelinek sei eine "ganz ungewöhnliche, völlig aus dem Rahmen fallende, radikale und extreme Schriftstellerin und in Folge dessen höchst umstritten", sagte Reich-Ranicki. Sie habe glühende Anhänger, aber auch Gegner.

Die zentralen Motive des Werks der vielseitigen Autorin von Romanen, Dramen, Gedichten, Hörspielen, Theaterstücken und Essays seien die Rolle der Frau, Gewalt und Macht in der Konsumgesellschaft und Sexualität. Die Österreicherin, die aus einer slawisch-jüdischen Familie stamme, sei eine "höchst nervöse, sehr empfindliche und sensible Frau", sagte Reich-Ranicki.

Elfriede Jelinek ist die erste Frau seit der polnischen Dichterin Wislawa Szymborska im Jahr 1996, die mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet wird. Seit der ersten Preisverleihung 1901 haben mit der Österreicherin erst zehn Autorinnen die renommierteste Auszeichnung der literarischen Welt erhalten. Unter den 18 auf Lebenszeit ernannten Mitgliedern der Schwedischen Akademie sind nur vier Frauen.

Jelinek wurde unter anderem mit dem Heinrich-Böll-Preis der Stadt Köln (1986), dem Georg-Büchner-Preis (1998)und dem Else-Lasker-Schüler-Preis für ihr dramatisches Gesamtwerk (2003) ausgezeichnet.

Im vergangenen Jahr hatte J.M. Coetzee aus Südafrika den Nobelpreis erhalten. Letzter deutscher Preisträger war 1999 der bei Lübeck lebende Günter Grass. Die Nobelpreise sind mit jeweils umgerechnet 1,1 Millionen Euro (10 Millionen Kronen) dotiert. Sie werden traditionsgemäß am 10. Dezember, dem Todestag des Preisstifters Alfred Nobel (1833-1896) überreicht.

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