Literatur-Nobelpreis für Doris Lessing:"Royal Flush"

Die Engländerin Doris Lessing erhält den diesjährigen Nobelpreis für Literatur. Die 87-Jährige nannte die Auszeichnung einen "Royal Flush" - sie sei "begeistert". Die ersten Reaktionen sind überwiegend positiv. Marcel Reich-Ranicki nannte die Entscheidung jedoch "bedauerlich".

Der diesjährige Nobelpreis für Literatur geht an die englische Autorin Doris Lessing. Das teilte die Schwedische Akademie am Donnerstag in Stockholm mit.

Literatur-Nobelpreis für Doris Lessing: Ausgezeichnet mit dem Nobelpreis für Literatur: Autorin Doris Lessing

Ausgezeichnet mit dem Nobelpreis für Literatur: Autorin Doris Lessing

(Foto: Foto: ap)

Doris Lessing hat die Auszeichnung mit dem Nobelpreis als "Royal Flush", das stärkste Blatt beim Poker-Spiel, bezeichnet. "Das ging jetzt 30 Jahre so. Ich habe alle Preise in Europa gewonnen, jeden verdammten Preis", sagte Lessing am Donnerstag, als sie aus dem Taxi vor ihrer Wohnung im Norden Londons stieg. Sie sei "begeistert", jetzt auch den Nobelpreis erhalten zu haben.

Weng später äußerte Lessing sich in einem TV-Interview mit dem Sender BBC in ironischer Distanz zu ihrem Literaturnobelpreis. "Ich weiß nicht, warum ihr Herz erweicht ist", sagte die 87-Jährige. "Meine Arbeit hat sich nicht verändert." Aber vielleicht hätten sie sich verändert, betonte sie mit Blick auf die Schwedische Akademie.

In den 60er Jahren hätte die Akademie extra "einen ihrer Günstlinge" zu ihr geschickt, um ihr zu sagen, "dass sie mich nicht mögen und ihn mir nie geben werden". "Nun haben sie entschieden, ihn mir zu verleihen. Warum? Warum mögen sie mich jetzt mehr als vorher?." Sie fügte hinzu: "Sie können den Nobelpreis keinem Toten geben. Deshalb haben sie wahrscheinlich gedacht, ihn mir besser jetzt zu geben, bevor ich abkratze." Nun würde es "eine Menge Reden und Blumen" geben. "Das wird sehr schön sein."

Auf die Begründung der Akademie, Lessing sei eine "Epikerin weiblicher Erfahrung, die sich mit Skepsis, Leidenschaft und visionärer Kraft eine zersplitterte Zivilisation zur Prüfung vorgenommen hat", meinte die Autorin: "Oh Gott, haben sie das über mich gesagt?"

Im Laufe des Tages mehrten sich die Glückwünsche aus aller Welt. "Doris Lessing hat eine große, individuelle literarische Seele", sagte der italienische Schriftsteller Umberto Eco. Lob kam auch von Südafrikas Präsident Thabo Mbedki: "Frau Lessings Haltung gegen Kolonialismus und weiße Vorherrschaft in der Region sowie ihre Sicht in Sachen Geschlechter-Gleichheit war dauerhaft, inspirierend und nie nachlassend."

Auch Lessings britischer Verleger Nicholas Pearson ist "begeistert" von der Nobelpreiswürde seiner Autorin. Die Auszeichnung habe ihn überrascht. "Wir haben das nicht erwartet", sagte Pearson, Publishing Director des Verlags 4th Estate, am Donnerstag auf der Frankfurter Buchmesse. Lessing habe den Nobelpreis aber "sicherlich verdient". Die alte Dame sei "einer der nettesten Menschen, die ich je kennengelernt habe". Als Autorin habe sie Wertvolles geleistet: "Sie hat uns das Innenleben der Frauen gezeigt." 4th Estate gehört zur Verlagsgruppe Harper Collins.

Zwei Stunden lang hatte Pearson am Donnerstagnachmittag versucht, Lessing telefonisch zu erreichen, ohne Erfolg. "Ich denke, ihr Haus ist von Reportern umlagert und sie kann nicht ans Telefon gehen", sagte er mit dem Handy am Ohr.

Neffe Gregor Gysi ist überglücklich, dass seine Tante Doris Lessing mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet worden ist. "Ich freue mich wirklich wahnsinnig", sagte der Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag am Donnerstag in Berlin. Doris Lessing ist eine angeheiratete Tante von Gysi. Sie war in zweiter Ehe (1944 bis 1949) mit dem deutschen Emigranten Gottfried Anton Nicolai Lessing verheiratet, einem Bruder von Gysis Mutter Irene.

"Sie hat immer ihr Ding gemacht"

Vergangene Woche erst habe Gysi die 87-Jährige in Hamburg getroffen. Dort habe sie ihm noch wortreich erklärt, warum sie den Nobelpreis für Literatur nicht bekommen werde. Er habe alle Bücher der Tante gelesen, sagte Gysi. Schon zu DDR-Zeiten habe er Kontakt mir ihr gehabt. Während der Zeit der Nachrüstung habe Doris Lessing ihm, seiner Mutter und seiner Schwester angeboten, nach Großbritannien auszuwandern, wo es sicherer sei. Das sei eine "ausgesprochen nette Geste" gewesen, sagte Gysi.

Unmittelbar nach der Bekanntgabe der Preisträgerin habe er versucht, der Tante telefonisch zu gratulieren. Das sei nicht gelungen. Vermutlich habe sie den Hörer neben den Apparat gelegt, meinte der Linksfraktionschef.

Elke Heidenreich hat sich über den Nobelpreis für Doris Lessing "gefreut". "Sie ist immer ihren eigenen Weg gegangen", sagte die Autorin und TV-Moderatorin auf der Frankfurter Buchmesse kurz nach Bekanntgabe der Entscheidung.

Die britische Schriftstellerin habe sich sowohl vom Kommunismus als auch vom Feminismus losgesagt und in ihrem Leben viele große Wechsel und Wandel durchgemacht und immer provoziert. Es sei gut, dass sie dafür mit einem so großartigen Preis belohnt werde. "Außerdem war sie ihr Leben lang verliebt und hat immer andere Männer gehabt. Das gefällt mir."

Kritik von Reich-Ranicki und Löffler

Der Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki nannte die Entscheidung der Nobelpreis-Jury für Doris Lessing dagegen enttäuschend. "Ich finde sie bedauerlich", sagte der 87-Jährige am Donnerstag in Frankfurt. Er sei der Ansicht, dass die angelsächsische Welt, "viele, jedenfalls mehrere bedeutendere, wichtigere Schriftsteller hat". Er habe erneut erwartet, dass Philip Roth oder John Updike ausgezeichnet werden. "Weder der eine, noch der andere hat den Preis bekommen, na ja."

Reich-Ranicki sagte, er habe von Lessing "vielleicht drei" Bücher gelesen. Das sei aber schon lange her. "Nichts hat mich wirklich beeindruckt." Er sei aber nicht überrascht über die Entscheidung der Jury. "Wir hatten ja mehrere Autoren, die im Laufe der letzten Jahre den Preis bekommen haben, wo es eigentlich ganz und gar unbegreiflich war." Als Beispiele nannte er "Dario Fo mit Sicherheit und auch eine deutschsprachige Autorin", ohne die Österreicherin Elfriede Jelinek namentlich zu nennen, die 2004 mit dem Nobelpreis ausgezeichnet worden war.

In ähnlicher Weise kommentierte auch die Literaturwissenschaftlerin Sigrid Löffler. Es gebe "so viele andere Schriftsteller, deren Werk eingreifender ist, prägnanter ist und auch radikaler ist, und denen hätte ich den Preis vielleicht eher gegönnt". Es gebe es ein umfangreiches Alterswerk der Autorin, das schwach sei und die früheren Romane weitgehend diskreditiere.

Der Literaturnobelpreis für Doris Lessing überrascht auch ihren deutschen Verlag Hoffmann und Campe. Lessing habe "50 kompromisslose Bücher" geschrieben, sagte Geschäftsführer Günter Berg in einer ersten Stellungnahme auf der Frankfurter Buchmesse. Sie habe sich nie von Moden beeinflussen lassen und trotz inhaltlicher Nähe auch nie vom Feminismus in Beschlag nehmen lassen. "Sie hat immer ihr Ding gemacht." Auch persönlich sei die 87-Jährige beeindruckend: "Ihre Dynamik, Wachheit und Klarheit sind bewundernswert."

Als um 13 Uhr die Entscheidung in Stockholm fiel, führte Berg in aller Ruhe ein Gespräch am Stand. Nebenan bei Hanser, dem Verlag des Kandidaten Philip Roth, scharten sich dagegen Journalisten um die Verlagsleute. Als eine Reporterin ihm die Nachricht überbrachte, sagte Berg nach einem verblüfften Schweigen nur ein Wort: "Großartig!"

Das Nobelpreis-Komitee in Stockholm würdigte Lessing als "Epikerin weiblicher Erfahrung, die sich mit Skepsis, Leidenschaft und visionärer Kraft eine zersplitterte Zivilisation zur Prüfung vorgenommen hat". Zu den Werken der 87-Jährigen gehört unter anderem "Das goldene Notizbuch", ein Klassiker feministischer Literatur.

Doris Lessing war seit mehr als 30 Jahren für den Literaturnobelpreis im Gespräch. Sie selbst sagte einmal: "Ich bekomme ihn nie". In ihrem gerade erschienenen neuen Roman "Die Kluft" beschreibt sie eine mythische friedliche Welt voller Frauen - in die erst mit den Männern auch Probleme einziehen.

Lessing wurde 1919 als Doris May Taylor in Kermanshah in Persien geboren. Ihr Vater, ein kriegsversehrter britischer Offizier, zog später mit der Familie ins damals britische Südrhodesien (heute Simbabwe). Afrika prägte sie und ihr Werk entscheidend.

"Wohldurchdachte Entscheidung"

Ihren ersten literarischen Erfolg erzielte Lessing 1949, als sie nach England übersiedelte - im Gepäck den Roman "Afrikanische Tragödie" über eine verbotene schwarz-weiße Liebe.

Der Chef der Akademie, Horace Engdahl, sagte über die überraschende Vergabe: "Dies ist eine der wohldurchdachtesten Entscheidungen, die wir jemals getroffen haben."

Auch der Vorsteher des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, Gottfried Honnefelder, bezeichnete den Literaturnobelpreis für Doris Lessing als großartig. "Ich finde es fabelhaft", sagte Honnefelder auf der Frankfurter Buchmesse. "Ein solcher Preis hat ja nicht nur einen Entdeckungssinn, sondern auch einen Wiederentdeckungssinn."

Die Auszeichnung ist die wichtigste Preisverleihung der Branche und wird traditionell nach den Nobelpreisen in den naturwissenschaftlichen Fächern bekanntgegeben.

Der Preis ist mit umgerechnet 1,1 Millionen Euro dotiert und wird am 10. Dezember vom schwedischen König Carl Gustaf überreicht. Im vergangenen Jahr ehrte das Komitee den türkischen Schriftsteller Orhan Pamuk. 1999 hatte Günter Grass den Nobelpreis erhalten.

In diesem Jahr wurden bereits die Preise für Medizin, Physik und Chemie vergeben. Der Nobelpreis für Chemie ging am Mittwoch an den deutschen Wissenschaftler Gerhard Ertl. Den Preis für Physik teilen sich der Deutsche Peter Grünberg und der Franzose Albert Fert. Am Freitag folgt die Bekanntgabe des Friedensnobelpreisträgers.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: