Literatur:Nicht verstummt

Literatur: Emerenz Meier hat dieses Jahr ihren 90. Todestag.

Emerenz Meier hat dieses Jahr ihren 90. Todestag.

(Foto: Museum in Schiefweg/privat)

Hans Göttlers neuer Sammelband mit Texten von Emerenz Meier

Von Sabine Reithmaier

Leiblich sei sie wohlauf, aber seit Jahren leide sie an geistiger Unterernährung, berichtet im Dezember 1919 Emerenz Meier an ihre Freundin Auguste Unertl. "So sehr, daß ich nur mehr das Skelett meines früheren Selbst bin." Als sie diese Zeilen schreibt, lebt sie bereits seit 13 Jahren in den USA. In ihren Briefen an ihre Waldkirchener Freundin und Förderin analysiert sie schonungslos die eigene, wirtschaftlich eher bescheidene Lage, hält mit ihrer Meinung über die USA nicht hinter dem Berg. Erzählt, dass es den übrigen Familienmitgliedern nicht schlecht geht; die Schwestern leben in eigenen Häusern, Schwager Georg denkt sogar ernsthaft darüber nach, seine Gläubiger in der Heimat zu befriedigen. Emerenz zieht ein harsches Fazit: "In Amerika braucht man eben keinen Verstand, um vorwärts zu kommen, im Gegenteil, der Verstand ist dabei nur hinderlich..."

Dieser Brief - der erste von rund 50 erhaltenen, die sie an Gusti in Waldkirchen schreibt - findet sich in dem neuen Emerenz Meier-Sammelband "Aus dem Bayerischen Wald und aus Chicago". Zusammengestellt hat ihn Hans Göttler, Uniprofessor in Passau und profunder Emerenz-Meier-Kenner, der sich seit vielen Jahren der 1874 geborenen Bayerwalddichterin widmet, eigentlich seit dem Moment, als er das erste Buch von ihr in Händen hielt: "Aus dem bayerischen Wald", das erste und einzige Buch, das zu Emerenz' Lebzeiten 1897 veröffentlicht wurde.

Die Kritiker reagierten zwar positiv auf die vier längeren Erzählungen der erst 23-jährigen Autorin, die sämtliche Rezensionen fein säuberlich und stolz in ein Heft abschrieb. Ein Verkaufserfolg wurde das Buch aber leider nicht. Erst zu ihrem 100. Geburtstag im Jahr 1974 - Emerenz ist da schon 46 Jahre tot - erfährt es eine Neuauflage. Und genau die weckt Göttlers Begeisterung für die Autorin. Er hat seither viel getan, um die kraftvolle Poetin dem Vergessen zu entreißen, gab 1991 eine zweibändige Werkausgabe heraus, die 2012 erweitert wieder aufgelegt wurde.

Ihr 90. Todestag in diesem Jahr bot ihm den Anlass für das neue Buch. Natürlich enthält es die vier Erzählungen des Erstlings, aber auch andere Geschichten, Gedichte und eben auch die ausgezeichneten Briefe. Der Sammelband eigne sich, schreibt Göttler in seinem Vorwort, vor allem für "Emerenz-Neueinsteiger", die sich schnell und leicht über Leben und Werk der Dichterin informieren wollen. Aber vermutlich haben auch "Emerenz-Experten" Freude an dem Buch. Viele der darin veröffentlichten Texte hat Göttler schon 2012 auch auf einer CD eingelesen: "Mei Emerenz, my Emma!", wie das Buch im Morsak-Verlag erschienen.

Die Texte, aufgelockert durch Familienfotos, belegen auf jeden Fall, wie viele Register der Schriftstellerin zur Verfügung standen. Der erste Teil konzentriert sich auf Emerenz' literarische Produktion vor der Auswanderung. Da darf ihr bestes Gedicht "Wödaschwüln" natürlich nicht fehlen, ein perfektes Beispiel für ihren virtuosen Umgang mit Sprache und Form; und auch manche ihrer Erzählungen wie "Der Juhschroa" haben nichts von ihrer Kraft eingebüßt.

Der zweite Teil enthält Geschichten, Gedichte und Briefe aus ihrer USA-Zeit. Die schiere Menge widerlegt die gern gepflegte Darstellung, die Schriftstellerin sei in Amerika verstummt. Weniger geschrieben hat sie in dieser Zeit allerdings schon, doch der rebellische Ton in ihrer Lyrik aus dieser Zeit lässt aufhorchen. Schon möglich, dass die bürgerliche Gusti unter den kommunistischen Bekehrungsversuchen der fernen Freundin litt. "Hab heiß gestritten, hab viel gelitten, / Hab nichts errungen in meinem Leben", bilanziert sie schließlich in ihrem "Testament für meinen Buben". Und an den Freund und Schriftsteller Hans Carossa, der 1898, begeistert von Emerenz' Erstling, nach Oberndorf gereist, um das "Naturtalent" kennenzulernen, schreibt sie im April 1923: "Radikal gesinnt war ich von Haus aus, wie du weißt, u. je mehr Einblick man gewinnt in das Weltgetriebe, desto radikaler-er-er wird man."

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