Literatur:Nachdenken über Dunkeldeutschland

David Mayonga, der auch als Rapper Roger Rekless auf der Bühne steht, hat ein Buch über sein Leben und den alltäglichen Rassismus geschrieben: "Ein Neger darf nicht neben mir sitzen"

Von Michael Zirnstein

Roger Reckless

Rapper, Autor, Radiomoderator und Meister im Brazilian Jiu Jitsu: David Mayonga nutzt die Macht der Sprache, um gegen Muster zu kämpfen, die sich festgesetzt haben.

(Foto: Philipp Wulk)

Er sitzt noch keine Minute beim Stammtisch der AfD in einer Münchner Gaststube zwischen Sechzger-Krügen und Deutschland-Sombrero, wundert sich über die Vielzahl der Gerichte, die 8,80 Euro kosten, da bei Nazis die 88 für "Heil Hitler" steht - schon quäkt das böse Wort durch den Raum: "Nääga! Nääga! Nääga!" Die Wirtin ist genervt, weil keiner das Cola-Weißbier, das sie hereinträgt, bestellt hat. Irgendwer wollte einen "Russ". "Russ derf ma nimmer song", zetert die Wirtin, "Nääga derf ma a nimmer song." Niemand hat das Wort gesagt. Außer ihr. Offenbar kam es ihr nur in den Sinn wegen des fremden Gastes. Dem stellt sie das Cola-Weizen provozierend vor die Nase: "Nääga!"

Der Gast heißt David Mayonga, seine Hautfarbe ist dunkel, und nun darf man sich fragen, wie er sich in diesem Moment fühlt. "... als hätte ich ein Fadenkreuz auf dem Körper, aber das kenne ich ja schon seit ich ein Kind bin." Von diesem Leben als Sohn einer deutschen Mutter und eines Vaters aus dem Kongo in Bayern berichtet Mayonga, der viel bekannter ist unter seinem Rapper-Namen Roger Rekless, im Buch "Ein Neger darf nicht neben mir sitzen" (Komplett Media). Den Satz hat er von einem Jungen mit Pilzkopffrisur und Latzhose, der ihm am ersten Kindergartentag den Stuhl neben sich verwehrte. "Ich fand, der Junge hatte recht. Neben mir sollte ein Neger auch nicht sitzen, was auch immer das war." Erst als der Junge ihn angiftete: "Du, du bist ein Neger", begriff er, dass er anders war. So blieb es bis heute, mit 36 Jahren: Ob ihm ein Schnauzbart-Polizist wie einem Drogendealer mit der Taschenlampe auf die Finger schlug (zu einer Zeit, als er noch Tabaluga im Schultheater spielte), ob er in der Bäckerei gefragt wurde "Was du wollen" (während er Kunst, Pädagogik, Psychologie, Politologie studierte), oder wenn Frauen ihre Handtaschen fester hielten. Also hielt Mayonga es für dringend notwendig, dem Alltagsrassismus, wie er ihn fortwährend erfährt, auf den Grund zu gehen. Man merkt, wie ihn das Thema schmerzt, und es schmerzt beim Lesen.

Wenn David Mayonga im Interview von seinem Besuch bei der AfD erzählt, klingt er komischer als Gerhard Polt auf der Kabarettbühne. "Ja, mei, die Sissi ..." - so macht er schulterhebend den Sitzungsleiter nach, der sich bemüht, die Situation "herunterzukochen", wohl weil er weiß, dass der Gast beim BR arbeitet. "Alles nur Spaß ..." Ein Gerd steht auf, steigert sich anlässlich der Treibjagden in Chemnitz hinein in eine "vielleicht ein bisschen rassistische" Rede, wie er sich schon mal vorsorglich entschuldigt, und endet mit dem Totschlagsargument: "Bis wir mit dem Knüppel da rausgehen ..." - "Leberkaas, Leberkaas, Leberkaas!", quäkt da die Sissi, was der Sitzungsleiter in eine lächerliche Beschwichtigung umlenkt: "Ja, dann doch lieber den Leberkaas als den Knüppel."

Man kann das als Sketch nicht besser schreiben. "Aber kaum zu fassen, dass es da wirklich so zuging", sagt Mayonga. Er ist immer noch fassungslos, aufgewühlt, wenn er sich im Köfte-House unweit seiner Wohnung in Neuperlach an die Szene erinnert, vor sich etwas in Alu gewickeltes, dass er nicht anfassen wird. So sehr braucht er Hände, Mund und Hirn zum Reden. Er ist ein Bär von Mann, Meister im Brazilian Jiu Jitsu, schlagfertig auch als Radiomoderator der "Puls"-Sendung auf Bayern 3, er hat sich mit der Ur-Bayerin Renate Meier im Gstanzln duelliert, rappt auf Bayerisch im Bavarian Squad, einer Art Mundart-Allstar-Gang, er macht Jugendarbeit, stellt sich den AfDlern als Enkel von Kriegsvertriebenen aus dem Sudetenland vor, als Mensch aus Marktschwaben - aber all das "wird ausradiert" von seit dem Sklavenzeiten negativ behafteten Wort Neger.

Nun werden einige sagen: Klar, bei der AfD, was gehst du denn auch hin zu diesem "Dunkeldeutschland mitten in München", wie Mayonga es nennt. Aber genau diese Sprüche der Gutmeinenden ist er am meisten leid, auf die zielt seine Aufklärungsarbeit mit dem Buch: "Rassisten, das sind nur die anderen, die Doofen - das denken so viele." Die selben Leute fänden es dann aber schade, dass in den Neuausgaben von "Pippi Langstrumpf" der "Negerkönig" zum "Südseekönig" redigiert wird. "Die haben schöne Kindheitserinnerungen, aber andere haben auf dem Pausenhof darunter gelitten: ,Du bist der Negerkönig!'"

Er sagt oft "Rassist", das klingt hart, "weil es eine Beleidigung ist für Leute, die von sich glauben, sie seien keine". Aber er will, dass alle sehen, dass sie auch mit kleinen, sogar nett gemeinten Äußerungen ("Hey, du hörst dich gar nicht schwarz an!") in einer Argumentationslinie stehen vom ersten Rassen-Systematiker Francois Berniers, über Philosophen wie Kant und Hegel, die Rassenhygiene der Nationalsozialisten bis zu AfD-Gerd mit dem Knüppel. Kapitelweise nimmt er Kriminalstatistiken auseinander, Racial-Profiling, Sprache, Medien, Gesetze, um immer wieder zu zeigen: "Wir leben in einem System, das latent Rassimus predigt" - und die Gesellschaft teilt in Weiß und Anders. Dass das aber nicht "normal" ist, sondern nur die gängige Wahrnehmung. Viele Gastautoren wie Samy Deluxe oder Shahak Shapira bestätigen ihn mit ähnlichen Erfahrungsberichten. Auch, was sein Arbeitskollege Hannes Ringlstetter lobend schreibt - "Vielleicht war das Nicht-Sein-wie-alle-anderen genau die Chance, einen eigenen Charakter, Style und Way of Life zu definieren" - sollte keine Ausrede sein, dass alles doch okay ist. "Das Land sieht nicht mehr aus wie vor 50 Jahren. All denen, die sauer sind über die neue Situation, muss man sagen: Kommt mit, wir machen das zusammen, die Zukunft gehört uns allen, ihr braucht keine Angst zu haben", sagt Mayonga. Sein Buch sei ein Angebot: "Let's talk about it."

David Mayonga, Lesung, Mi., 13. März, Volkstheater; als Roger Rekless mit Bavarian Squad, Fr., 15. März, Muffathalle

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