Süddeutsche Zeitung

Literatur:Mit aller Erfahrung aufs Risiko setzen

Die ehemalige Piper-Programmleiterin Julia Eisele gründet in München einen eigenen Verlag - im Herbst startet sie mit vier Titeln

Von Antje Weber

Man stelle sich ein armes Mädchen im viktorianischen England vor, das die Eltern in den Pfarrhaushalt des Dorfes weggeben. Ein Kulturschock, ein Aufbruch - und der Beginn eines "kriminalistischen Kammerspiels", wie Julia Eisele sagt: "Man spürt, diese Geschichte geht nicht gut aus." Der Roman "Die Farbe von Milch" von Nell Leyshon sei ein besonderes Buch, findet sie, "scheinbar simpel erzählt, mit einem eigenen lakonischen Sog, literarisch und superspannend". Ein perfektes Buch, um einen neuen Verlag zu starten.

Denn es gibt einen weiteren unabhängigen kleinen Verlag in München zu vermelden: den Eisele Verlag. Mit vier Titeln will Julia Eisele im Herbst beginnen. Mit Büchern, die "an der Schwelle zwischen Literatur und Unterhaltung" liegen, die "auf verschiedenen Ebenen funktionieren", also bei allem literarischen Anspruch gut lesbar sind und berührend. Es sollen insbesondere Bücher sein, die bei großen Verlagen schnell durchs Raster fallen - wie eben Nell Leyshons Roman, den sich vor vier Jahren kein deutscher Verlag aus dem Englischen zu übersetzen traute, weil er "so eigenartig" war, nicht "klar etikettierbar", sondern eben irgendwo zwischen Hochliteratur und Unterhaltung angesiedelt.

Julia Eisele kennt sich mit solchen Etikettierungen aus: Sie arbeitete bis vor Kurzem sieben Jahre lang bei Piper und war dort als Programmleiterin zuständig für das belletristische Taschenbuch, die "Piper Paperback"-Klappenbroschuren sowie für Pendo im Bereich Unterhaltungs-Hardcover. Zuvor war sie Lektorin bei Goldmann, wo sie nach neun Jahren allerdings schon einmal selber ging: Sie machte sich als Übersetzerin und Lektorin selbständig - bis der damalige Piper-Chef Marcel Hartges sie nach zwei Jahren wieder fest in einen Verlag holte. Dass ihr Weggang von Piper nun ziemlich genau mit dem Chefwechsel zu Felicitas von Lovenberg zusammenfiel, bedauert Eisele als Koinzidenz: "Ich war innerlich schon weg."

Denn seit eine befreundete Agentin ihr eines Abends vor knapp zwei Jahren eine mögliche Verlagsgründung wie einen Floh ins Ohr gesetzt hatte, war ihr die Idee nicht mehr aus dem Kopf gegangen. Ein Schulfreund kalkulierte die Sache für sie durch, steckte ebenso wie sie selbst und ihr Lebensgefährte einiges Geld hinein und übernahm auch gleich die Geschäftsführung. "Ich hatte wahnsinnig viel Glück", sagt Eisele. Denn auch das Vertriebsproblem löste sich leicht, Ullstein bot sich als Partner an. Und für den Start des Programms vertraute ihr auch noch eine erfolgreiche Autorin und inzwischen Freundin wie Hanni Münzer, die Eisele selbst zu Piper geholt hatte, ein neues Buch an. "Wir waren gerade beim Pferdestehlen", erzählt Münzer munter in der ersten Programmvorschau, als Eisele ihr vom künftigen eigenen Verlag erzählt habe. "Sofort habe ich geschrien: Ich bin dabei! Wir machen ein Buch! Denn was ist inspirierender als Julias Wagemut und Courage, ihre ,Jetzt erst recht'-Haltung in einer von allen Seiten digital bedrohten Branche?"

Das Risiko ist Eisele natürlich bewusst, doch: "no risk, no fun". Die Kosten seien bei einem solchen Ein-Frau-Unternehmen ja nicht so hoch, und überhaupt: "Es gibt nicht viele kleine Verlage mit so viel Background-Erfahrung", sagt sie selbstbewusst. "Das Wichtigste, was man beim Verlegen braucht, ist Erfahrung - und die habe ich." Neben einer guten Nase für die richtigen Bücher, die sie sich selbst zuschreibt, brauche man natürlich auch Glück. Doch anders als bei der viktorianischen Pfarrersgehilfin muss man in diesem Fall ja keine kriminalistische Entwicklung erwarten. Sondern darf hoffen, dass diese Geschichte gut ausgeht.

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Quelle:
SZ vom 22.02.2017
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