Süddeutsche Zeitung

Literatur:Liebe und Zweifel

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Bislang gab es zwei Fragebö­gen, in denen Marcel Proust Fragen des Lebens klärte. Jetzt ist ein dritter aufgetaucht.

Von Joseph Hanimann

Im 19. Jahrhundert erreichte die feine Pariser Gesellschaft ein Spiel, das zuvor schon in England sehr beliebt war: der persönliche Fragebogen. Man konnte die vorgedruckten Bögen mit den mehr oder weniger indiskreten Fragen in vornehmen Schreibwarengeschäften kaufen und verschenkte sie unter Freunden. Geadelt wurde das Genre durch Marcel Proust, von dem bisher zwei ausgefüllte Varianten bekannt waren.

Auf der Pariser Antiquitätenmesse, die gestern begonnen hat, wird nun ein unlängst aufgetauchtes drittes Exemplar zum Kauf angeboten. Es besteht aus einem sechsseitigen Heftchen im Querformat, darin 30 Fragen und Antworten. "Mes confidences" lautet die Überschrift. Als Bekennender zeichnet Marcel Proust, als Datum ist der 25. Juni 1887 angegeben, womit das Dokument älter ist als die beiden bisher bekannten. Proust war damals fast sechzehn.

Die Antworten des Gymnasiasten wirken mitunter etwas konventionell, dann aber auch wieder seltsam gestelzt. Auf die Frage nach dem höchsten irdischen Glück antwortet er: "Ich würde es Ihnen gern sagen, aber ich mag keine langen Sätze." Die Frage nach dem bedauernswertesten Menschenlos beantwortet er jedoch bündig: "dumm zu sein".

Auffallend häufig taucht das Wort "Liebe" auf. Für den Proust-Biografen Jean-Yves Tadié, der das Dokument zusammen mit zwei Grafologen begutachtet und für echt erklärt hat, bestätigt das die große Bedeutung, die das Thema für den damals in seiner sexuellen Orientierung noch unschlüssigen Jüngling hatte. Besonders symptomatisch klingt die Antwort auf die Frage nach der Lebensdevise: "Liebe und Zweifel", antwortet der fünfzehnjährige Marcel. Aufgetaucht ist das Dokument, als im vergangenen November der Pariser Buchantiquar Laurent Coulet von einer Privatperson einen Umschlag hingestreckt bekam mit den Worten: "Schauen Sie da mal rein, das könnte Sie interessieren." Das Papier sei seit zwei Generationen im Familienbesitz. Keiner der konsultierten Gutachter hat seitdem die Echtheit infrage gestellt, erklärt der Antiquar.

Das wenige Monate nach der vorliegenden Variante für Prousts Jugendfreundin Antoinette Faure ausgefüllte Exemplar ist im Jahr 2003 für 120 000 Euro versteigert worden. Für das nun aufgetauchte Dokument hat der Antiquar 250 000 Euro veranschlagt.

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Quelle:
SZ vom 13.04.2018
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