Süddeutsche Zeitung

Literatur:Kartoffelstempel-Doktor

Jaromir Konecny hat einen Roman über seine Mutter geschrieben

Von Sabine Reithmaier

Vermutlich war seine Mutter eine starke, resolute Frau. Die Sprüche, mit denen sie ihren Sohn zu erziehen versuchte, lassen Jaromir Konecny bis heute nicht los. Einen davon hat er als Titel für seinen neuen, im Lichtung-Verlag erschienenen Roman verwendet. "Du wächst für den Galgen", ein Satz, mit dem sie die Streiche ihres Sohns zu kommentieren pflegte. Stärker geprägt als von ihren Sentenzen ist der tschechisch-deutsche Autor aber von ihrer Haltung, jeder noch so traurigen Geschichte eine lustige Seite abzugewinnen. "Du musst sie nur finden", zitiert sie ihr Sohn. Ihm gelingt das ausgezeichnet, er bringt seit vielen Jahren Menschen zum Lachen. Auch der neue "Roman in Geschichten" ist ein heiteres Buch, zugleich eine Würdigung des Lebens seiner Mutter.

Konecny, 1956 in Prag geboren, wuchs in Nordmähren auf. Die katholische Mutter kam aus einem, zumindest vor dem Krieg, besseren Haus. Der Vater stammte aus einer Proletarierfamilie, war "Steinbrucharbeiter, Kommunist, Soldat, Widerstandskämpfer". Ein sozialistischer Held also, der es allerdings nicht übers Herz brachte, einen Karpfen zu schlachten. Zwischen Mutter und Vater flogen nicht selten die Fetzen, Ohrfeigen für die Kinder waren normal.

Gelegentlich schlug der Vater den Sohn mit einem Ledergürtel; doch dann entlarvte die Mutter die Prügelstrafe als Überbleibsel des Kapitalismus. Von da an musste Jaromir böse Taten mit dem Schreiben von Sätzen sühnen, etwa 500 Mal "ich soll meinem Vater nicht widersprechen" hinmalen. Vermutlich seien die Millionen Sätze ein Grund dafür, dass er Schriftsteller wurde, mutmaßt Konecny.

Als solcher ist er inzwischen schon seit Jahren erfolgreich. Für Furore sorgte der inzwischen verfilmte Roman "Doktorspiele", den er schrieb, damit über die Probleme, die Jugendlichen mit ihrer Sexualität haben, endlich "normal" gesprochen wird. Als Poetry-Slammer gewann er 80 Slams, war zweimal Vizemeister der deutschsprachigen Poetry-Slam-Meisterschaften. Im Vereinsheim gehörte er zu den Gründungsmitgliedern der "Schwabinger Schaumschläger", im Substanz organisierte er "Tschechenabende". Aktuell lädt er allmonatlich mit Frank Klötgen zur Poetry Slam- und Lesebühne in die Seidl-Villa ein. Jonglier-Workshops gibt er auch, eine Kunst, die er sich, so erfährt man im Roman, mit drei Orangen während eines Krankenhausaufenthalts beibrachte. Die in der sozialistischen Tschechoslowakei so raren Früchte gehen dabei kaputt, was die Mutter fassungslos macht. "Ich dachte, ich bin die Verrückteste in der Familie", zitiert er sie. "Du toppst aber alle."

Ihr schreibt er auch zu, dass er seine Forscherkarriere an der TU München aufgab und Literat wurde. Als er ihr voller Stolz seine Summa-cum-laude-Doktorurkunde der TU München präsentierte, lachte sie nur. Er habe schon in der Schule mit hartgekochten Eiern Arztstempel kopiert. "Das ist sicher so ein Kartoffelstempel-Zeugnis." An der Haltung hielt sie bis zu ihrem Tod fest. Inzwischen ist sie ihrem Chemiker-Sohn aber im Traum erschienen, um noch mal nachzufragen, ob er wirklich Doktor sei. "Ja, sagte ich im Traum voller Freude. Sicher würde meine Mutter mich jetzt loben, dass ich endlich etwas zu Ende gebracht hätte." Doch die reagiert nur kühl mit einer Gegenfrage: "Warum hast du nix Gescheites gelernt?"

In der Realität war sie vermutlich sehr stolz auf ihren Sohn, der ihr jetzt posthum so ein gelungenes literarisches Denkmal gesetzt hat.

Jaromir Konecny: Du wächst für den Galgen, Release-Party, 20.1., 20 Uhr, Substanz, München

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SZ vom 18.01.2020
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