Literatur: Ingeborg-Bachmann-Preis:Ihr könnt mein Hirn haben

Blut und Tränen: Immer wenn der Ingeborg-Bachmann-Preis verliehen wird, versammelt sich in Klagenfurt eine literarische Sadomaso-Szene. Die Bilder.

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Marcel Reich-Ranicki, 1996

Quelle: dpa

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Das "Wacken" des Literaturbetriebs: Wenn am Mittwochabend das Ringen um den diesjährigen Ingeborg-Bachmann-Preis beginnt, freuen wir uns auf showverliebte Literaten und bohleneske Jurykommentare.

Blut, Schweiß und Tränen: Was Härte und Unterhaltungswert angeht, steht der Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb dem berüchtigten Heavy-Metal-Festival in Wacken eigentlich in nichts nach. Gekämpft und gerockt wird nur mit anderen Mitteln. Die Bilder.

Mit einem Paukenschlag ging es schon los. Im Jahr 1977 setzten der Literaturpapst Marcel Reich-Ranicki und der damalige ORF-Intendant Ernst Willner ihre Idee von einem Literaturwettbewerb der etwas anderen Art durch: Nachwuchsautoren lasen ihre Texte vor einem Publikum und wurden anschließend von einer Jury wahlweise gnadenlos verrissen oder himmelhoch gelobt. Dem Sieger wurden 100.000 Schilling Preisgeld versprochen.

Aber diese Form der Autorenförderung fand nicht überall Anklang: Kritiker bemängelten den Eventcharakter des Wettbewerbs, bei dem es weniger um Talent als um Show ginge. Die Schriftstellerin Barbara Frischmuth hielt es für "degoutant", Autoren "nach dem Geldbündel an der Angel mit Mitteln schnappen zu lassen, die an sich nicht zu ihrem Beruf gehören". Auch die Tatsache, dass Reich-Ranicki den Ausschluss der Autoren aus der Jurydebatte zur Bedingung für seine Teilnahme machte, sorgte für Missfallen. Der Autor Erich Hackl vermutete deshalb, es werde "halt die Sadomaso-Szene sein, die sich in Klagenfurt versammelt".

Karin Struck / Foto 1975

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Schon im ersten Jahr seines Bestehens kam es dann zum Eklat. Stein des Anstoßes war ein Reich-Ranicki-Richtspruch, wie er klassischer nicht sein könnte. Zum Text der Autorin Karin Struck merkte der Kritiker an: "Das ist ein Skandal, wie sie schreibt. Wen interessiert schon, was die Frau denkt, was sie fühlt, während sie menstruiert? Das ist keine Literatur - das ist ein Verbrechen."

Dermaßen erniedrigt verließ die damals 30-Jährige unter Tränen den Saal und reiste sofort ab. Als Uwe Bolius, der nächste Kandidat, gegen eine solche Behandlung protestieren wollte, stieß er auf herzlich wenig Unterstützung: Seine Mitbewerber verweigerten die Solidarität und die Jury kürzte ihm noch dazu seine Lesezeit.

Karin Struck, 1975.

Buchmesse Frankfurt

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Ein solches Aufbegehren einzelner Autoren kennt man in Klagenfurt zur Genüge. Hans Christoph Buch entschied sich 1980 spontan zur Konterrevolution. Nachdem er seinen Text verlesen hatte, teilte er einer verblüfften Jury folgendes mit: "Ich glaube, es ist etwas faul an den Spielregeln, die die Autoren zu subalternen Wesen machen. Ich will kein subalterner Autor sein, und darum ziehe ich meinen Text zurück." Die Ironie an der Geschichte ist, dass es nur 14 Jahre dauerte, bis sich Buchs aufrührerisches Potential verflüchtigte: 1994 saß er dann selber in der Kritikerjury.

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Quelle: Bachmannpreis.ORF

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Hans Christoph Buchs Akt der Rebellion erscheint aber noch brav, wenn man sich anschaut, was nur zwei Jahre später die feinsinnigen Gemüter der Klagenfurt-Pilger in Aufruhr versetzte. 1983 schoss Rainald Goetz mit seiner bis heute vielzitierten Aktion den Vogel ab. Während der Lesung seines Textes Subito - ein Stück, das sich mit den fragwürdigen Verhältnissen in psychiatrischen Kliniken auseinandersetzte - überschritt Goetz die Grenzen zwischen Realität und Fiktion. Bei den Sätzen: "Ihr könnt's mein Hirn haben. Ich schneide ein Loch in meinen Kopf, in die Stirne schneide ich das Loch. Mit meinem Blut soll mir mein Hirn auslaufen", griff er zur Rasierklinge und schnitt sich in die eigene Stirn, dass das Blut nur so spritzte.

Der Eklat war perfekt und Goetz wurde schlagartig zum neuen enfant terrible der deutschsprachigen Literatur ausgerufen. Dabei ging es bei diesem Akt der Autoaggression wohl vor allem um einen Angriff auf den etablierten Literaturbetrieb. Einen Preis gewann der Autor damit nicht.

MORA

Quelle: ap

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Ein paar Jahre später griff die Jury dann einmal hart durch. Allerdings ging es diesmal nicht um den Selbstdarstellungsdrang eines Jungschriftstellers, sondern um trockenes Regelwerk: Die Autoren Margit Schreiner und Hubert Konrad Frank wurden vom Wettbewerb disqualifiziert - weil ihre vorzutragenden Texte schon einmal veröffentlicht worden waren. Die Statuten des Preislesens verlangen eindeutig, mit einem "frischen", noch nie publizierten Stück anzutreten. Bitter dürfte die Entscheidung für die Kandidaten auch deswegen gewesen sein, weil ihre Texte als klare Favoriten ins Rennen gegangen waren.

Weder im Knast, noch bei Big Brother - aber Gewinnerin des Ingeborg-Bachmann-Preises 1999: Terezia Mora.

Produktionsende der Hummel-Figuren

Quelle: ddp

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Ein Ausschluss vom Wettbewerb wurde auch 1991 gefordert - und das sehr viel lautstärker als noch ein Jahr zuvor. Grund für den "Aufstand der Anständigen" war ein gezielt provokativer Text von Urs Allemann mit dem Titel Babyficker. Gegenstand war ein Ich-Erzähler, der, umgeben von mit Babys gefüllten Wäschekörben, über den Satz "Ich ficke Babys. Also bin ich vielleicht" philosophierte. Das Jurymitglied Roberto Cazzola verließ schon nach den ersten Sätzen - allen Wettbewerbsregeln zum Trotz - empört das Studio und warf dem Text anschließend mangelnde Moral und die Ästhetisierung von Gewalt vor.

Das sahen nicht alle so: Hellmuth Karasek etwa bescheinigte der Geschichte "Stilwillen und Monströsität" und gab zu bedenken, dass Kunst immer wieder die Grenzen von Phantasie und Erfahrung suchen müsse. Mit einer ähnlichen Begründung votierte schließlich die Jury dafür, Allemann den zweiten Preis zukommen zu lassen. Es sei bei der "eklatant surrealistischen Geschichte" weniger um Kinder- als um Literaturschändung gegangen.

Diese Entscheidung stieß auf heftige Kritik bei Feministinnen, der katholischen Kirche und nicht zuletzt bei Jörg Haiders Freiheitlicher Partei. Die damalige FPÖ- Kultursprecherin Kriemhild Trattnig bezeichnete den Text als "die größte preisgekrönte Schweinerei" und verlangte die sofortige Aberkennung des Preises. Da dies nicht passierte, musste man sich anders helfen: Konservative und Sozialdemokraten verabschiedeten einen Antrag, der die Landesregierung aufforderte, dafür zu sorgen, "daß bei offiziellen Preisvergaben im kulturellen Bereich eine Rufschädigung unseres Landes vermieden wird".

Leipziger Buchmesse 2010

Quelle: ddp

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Nicht ganz so hoch schlugen die Wellen beim Gesprächsthema Nummer eins im darauffolgenden Jahr - aber dennoch: Das Feuilleton spekulierte im Sommer 1992 über die Hintergründe eines Textes von Alissa Walser (im Bild). In deren Erzählung Geschenkt geht es um eine inzestuös erscheinende Vater-Tochter-Beziehung: Eine der Autorin auffallend ähnelnde Ich-Erzählerin bekommt von ihrem Vater Geld zum Geburtstag geschenkt, leistet sich davon einen Callboy und berichtet alsbald ihrem Erzeuger von dem Abenteuer. Pikant wurde die Angelegenheit dadurch, dass es sich bei Alissa Walser um die Tochter des berühmten Schriftstellers Martin Walser handelt und Kritiker glaubten, in der Prosa autobiographische Offenbarungen erkennen zu können. Die Jury ließ sich davon aber nicht irritieren und sprach der damals 31-Jährigen den Hauptpreis zu.

Charlotte Roche feiert Premiere bei ´3 nach 9"

Quelle: dpa

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Wer geglaubt hat, Charlotte Roche sei die erste Frau im deutschsprachigen Raum, die mit Texten über Körperflüssigkeiten für Aufsehen sorgte, sollte Monika Wogrolly lesen. 1995 hieß es in ihrem Wettbewerbsbeitrag: "Wenn sie sie pfählten, stellten sie sie für eine Zeitlang ruhig, stellten sie kalt, begossen sie mit Sperma, verwandelten sie in Stückware." Die Juroren zeigten sich peinlich berührt: Es handele sich bei dem Auszug um "Prosa auf dem Schleudersitz" und beweise, dass "die Wahrheit, wenn man sie aufschreibt, zum Kitsch werden" könne.

Die 27-jährige Grazerin ließ sich mit derlei Kritik nicht abspeisen, holte zum Gegenangriff aus und eröffnete der fassungslosen Jury pikante Details aus ihrem Privatleben: Mit 15 sei sie von einem Tiroler Uhrmacherlehrling entjungfert, mit 16 vom Lateinprofessor geschwängert worden. So genau wollte es dann damals doch keiner wissen - die Autorin reiste ohne Preis aus Klagenfurt ab.

Nie in Klagenfurt gewesen, aber mit ihrem Roman wahnsinnig erfolgreich: Moderatorin und Schriftstellerin Charlotte Roche.

Peter Licht, Autor, Bachmann-Preis

Quelle: Motor Entertainment

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Bei all diesen Showeinlagen und Vermarktungstricks versteht man nur zu gut, dass die Lesung von Peter Licht im Jahr 2007 für Irritationen sorgen musste: Der Autor und Musiker (im Bild) machte schon im Vorhinein klar, dass er sich nicht filmen lassen wollte. Das Publikum im Studio bekam den jungen Mann zwar zu Gesicht, die Fernsehzuschauer allerdings mussten sich mit seinem Hinterkopf zufriedengeben. Es gilt jedoch anzumerken, dass Licht sich diese Marotte nicht für den Bachmann-Wettbewerb ausgedacht hatte, sondern schon seit Jahren konsequent das Abbilden der eigenen Person ablehnt. Trotzdem, so viel mediale Selbstverweigerung war man in Klagenfurt einfach nicht gewohnt.

Die Juroren bewiesen aber, dass im Zweifelsfall dann doch die Literatur Vorrang vor der Performance hat und vergaben für seinen aberwitzigen Text Die Geschichte meiner Einschätzung am Anfang des dritten Jahrtausends den dritten Preis.

Philipp Weiss

Quelle: ap

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Dass die eigene Literatur einen Autor aufzehren kann, ist weithin bekannt. Dass es aber auch andersherum geht, zeigte Philipp Weiss 2009. Dazu muss man wissen, dass sein Text mit dem bezeichnenden Titel Blätterliebe immerhin von einem Schriftsteller erzählt, der mit seinem Werk so unzufrieden ist, dass er es sich kurzerhand einverleibt. Insofern muss man Weiss' Aktion nur folgerichtig nennen. Als sich nämlich die Jury nur mäßig begeistert von seinen literarischen Ergüssen zeigte, ging der Autor kommentarlos dazu über, einen bemerkenswert großen Teil seines Manuskripts zu verspeisen. Von gesundheitlichen Nebenwirkungen ist nichts bekannt.

Dichtende Maerchenprinzessin mit scharfem Verstand

Quelle: Piper Verlag

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Ob dieses Sammelsurium aus Skurrilitäten und Extravaganzen tatsächlich im Sinne der Namensstifterin Ingeborg Bachmann gewesen wäre? Sie sagte einst: "Wir wollen alle sehend werden." Der österreichische Autor Wolfgang Siegmund soll dazu einmal angemerkt haben: "Es gibt Dinge im Leben eines Dichters, die man nicht tut: Bei der Naßrasur die Zeit lesen, im Juni nach Klagenfurt fahren..." Angesichts der grandios verrückten vergangenen 34 Jahre möchte man hier aufs Entschiedenste widersprechen und allen Jungschriftstellern zurufen: Fahrt. Lest. Unterhaltet uns.

Schriftstellerin und Namensstifterin des Wettbewerbs: Ingeborg Bachmann.

© sueddeutsche.de/luc
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