Literatur in Norwegen:Die Königliche Hoheit liest, redet und reist

Literatur in Norwegen: Kronprinzessin Mette-Marit im Juni beim Besuch in Mandal.

Kronprinzessin Mette-Marit im Juni beim Besuch in Mandal.

(Foto: Kunisch)

Norwegens Kronprinzessin Mette-Marit reist mit einem Literaturzug durch ihr Land.

Von Hans-Peter Kunisch

Er habe, sagt Dag Solstad in Mandal, in einer der großen öffentlichen Bibliotheken, die in Norwegen selbst kleine Dörfer schmücken, vor kurzem davon geträumt, dass sein alter Kumpel Jon Michelet und er dieses Jahr am Nationalfeiertag gemeinsam mit der Königsfamilie vom Schlossbalkon winken würden. Zwei Schriftsteller und ehemalige Maoisten am 17. Mai neben Mette-Marit. Doch ist Michelet - der letzte Band seiner Seefahrer-Trilogie erscheint in Norwegen im Herbst - im April gestorben. Der 76 Jahre alte Solstad ("Scham und Würde"), der gemeinsam mit Michelet auch sechs Fußballbücher schrieb, sitzt nun, Anfang Juni, in Mandal allein neben der Ex-Punkerin, die durch Heirat vor bald siebzehn Jahren Kronprinzessin wurde.

Nähe ist wichtig in Norwegen. Für die Kronprinzessin ist der Literatur-Zug ein Näheprojekt

Im Gespräch meint sie später, die Nähe zwischen Michelet, Solstad und seinem Biografen Alf van der Hagen habe ihr wieder einmal gezeigt, wie man miteinander umgehen könnte. Das wirkt nicht gestellt. Nähe ist in Norwegen alles. Das merkt man schon an der ersten Station des Literaturzugs, den "Ihre Königliche Hoheit" vom 6. Juni an zum fünften Mal für drei Tage durch die Provinz begleitet. In Kristiansand, wo sie geboren wurde und eine schäbig-nette Grundschule besuchte, trägt sie Turnschuhe und Bluse. Und bevor die groß gewordene Schülerin zusammen mit Kinderbuchautorin Tiril Broch Aakre einen Workshop leitet, liest sie aus dem alten Neu-Norwegisch-Schulheft, das ihre Mutter zuhause gefunden hat, den Alltag einer höchstens Dreizehnjährigen vor.

Die Erzählung lässt nichts von den damals schwierigen Familienverhältnissen des Kindes erkennen. Oder nur insofern, als die kleine Mette-Marit in gnadenlos fantasiearmen Hauptsätzen auflistet, was zu tun ist: aufstehen, anziehen, zur Schule, nach Hause, essen, ins Bett. Mette-Marit muss dabei selber lachen und meint am Ende, dieses Auflisten klinge ja wie Jon Fosse. Auch das wirkt nicht affektiert. Zuerst habe ihr die Mutter vorgelesen, sagt sie, dann sei sie selber immer tiefer in die Bücherwelt geraten. Im Bibliothekswagen des Literaturzugs, der dieses Jahr von Kristiansand in die Ölstadt Stavanger fährt, kann man den Büchern aus dem Privatbesitz der Kronprinzessin anmerken, dass sie benutzt sind, ob Dostojewski, Margaret Atwood, Michel Houellebecq, Charles Bukowski, Italo Calvino oder Kafkas "Slottet", das Schloss.

Bücher befördern das Gute in der Welt, meint Mette-Marit. Doch ist Anders Breivik auch ein Leser

Mette-Marit reist nicht nur als Leserin, sondern auch als Moderatorin . An einem Abend macht der Literaturzug von Stavanger aus einen dreistündigen Bootstrip hoch in den Lysefjord. Während draußen prächtige Landschaft vorüber zieht, spricht die Kronprinzessin mit einem aufgekratzten Jostein Gaarder, dann eine gute Stunde lang konzentriert mit Carl Frode Tiller ("Kennen Sie diesen Mann"). Tillers neues Buch - wie Tore Renbergs Stavanger-Trilogie ein Beispiel für die vielen Varianten des norwegischen Realismus - ist aus der Sicht eines Mannes erzählt, der dabei ist, sich umzubringen. Jetzt lässt er sein verpfuschtes Leben Revue passieren. Am Ende will er nicht mehr gehen, aber es ist zu spät.

Dass sie sich für psychologische Abgründe interessiert, hindert die Kronprinzessin nicht daran, zu sagen, dass Lesen Menschen besser macht. Man würde ihr gerne zustimmen, hätte nicht ausgerechnet Anders Breivik, der auch einen Stiefbruder Mette-Marits auf dem Gewissen hat, einiges gelesen und schlecht begriffen. Auch der etwa dreißigjährige Blonde, der in Egersund Johan anpöbelt ist vermutlich nicht dumm. Aber er werde "schlimmer", meint Johan. Der Typ sei schon mal in ein Büro spaziert, habe zwei Putzfrauen niedergeschlagen und sei der Meinung gewesen, das sei "in Ordnung".

Doch die Norweger lassen sich ihre Idee von Nähe nicht nehmen. Mette-Marit ist, kaum geschützt, mittendrin, egal, ob zwischen arabischstämmigen Jugendlichen oder blondbezopften Mädchen. Sie zieht alle auf ihre Seite. Man kann auf ihren Auftritt auf der Frankfurter Buchmesse 2019, auf der Norwegen Gastland sein wird, gespannt sein.

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