Süddeutsche Zeitung

Literatur:Ikonische Illustrationen

Die Münchner Comic-Zeichnerin Barbara Yelin hat zusammen mit David Polonsky ein reich bebildertes Buch über die israelische Schauspielerin Channa Maron veröffentlicht

Von Jürgen Moises

Wie funktioniert Erinnerung? Woran erinnert man sich und woran nicht? Was unterscheidet die private von der öffentlichen Erinnerung? Fragen wie diese spielen bei der Münchner Comic-Zeichnerin Barbara Yelin eine große Rolle. Wie ein roter Faden oder die fiktiven Linien in einem Sternbild verbinden sie einen Großteil ihrer Arbeiten. Dazu zählt etwa der Comic "Gift" aus dem Jahr 2010, in dem die 39-jährige Künstlerin zusammen mit dem Autor Peer Meter einen historischen Kriminalfall aus dem 19. Jahrhundert schildert. Oder ihr bisheriges Bravourstück, der 2014 erschienene und mehrfach ausgezeichnete Comic "Irmina", welcher von einer jungen Mitläuferin im Nationalsozialismus handelt und in wesentlichen Zügen auf dem Leben von Barbara Yelins Großmutter beruht.

Auch in Yelins neuesten Arbeiten geht es um Erinnerung und vor allem um die Frage: Was bleibt von einem Menschenleben, was ist es, was man als eine von "etwa hundertundzwölf Milliarden menschlichen Bewohnerinnen und Bewohnern dieses Planeten seit Anbeginn der Zeit" hinterlässt? Genau das will die alte Gerda im Fortsetzung-Webcomic "Der Sommer ihres Lebens" wissen, den Yelin gemeinsam mit dem Augsburger Schriftsteller Thomas Steinäcker für das Online-Magazin www.hundertvierzehn.de kreiert und vor kurzem beendet hat. Gerda findet darin am Ende selbst für sich die Antwort. Das heißt, beim Blick in den Sternenhimmel erkennt sie, dass ihr Leben mit seinen hellen und nicht ganz so hellen Punkten seine Gestalt und seinen Sinn hatte.

Helle und dunkle Punkte gab es auch im Leben von Channa Maron. Im Gegensatz zu Gerda führte diese aber keine "unsichtbare" und vor allem keine fiktive Existenz. Sondern ein reales, bewegtes und sehr öffentliches Leben, das mit einigen schweren Schicksalsschlägen verbunden war. Erzählt wird es in Form von zehn Episoden und zehn, man könnte sagen: "ikonischen" Illustrationen im Buch "Vor allem eins: Dir selbst sei treu. Die Schauspielerin Channa Maron", das vor kurzem im Berliner Reprodukt-Verlag erschienen ist. Die Episoden stammen von Barbara Yelin, die Illustrationen von David Polonsky, der durch seine Mitarbeit am dokumentarischen Trickfilm "Waltz with Bashir" bekannt geworden ist und auch das Comic-Buch dazu gezeichnet hat.

Channa Maron war Schauspielerin, "die" israelische Schauspielerin, eine nationale Berühmtheit und "Institution", wie Shimon Peres sie nannte. Sie spielte die Medea im Theater, trat in komischen Musicals wie "Hallo, Dolly!" auf, wirkte in Kinofilmen und der Seifenoper "Krovim Krovim" mit. Außerdem war Maron, die 1923 in Berlin geboren wurde und 2014 in Tel Aviv starb, in der Friedensbewegung aktiv. Das gilt vor allem für die Zeit nach 1970, nachdem sie bei einem palästinensischen Attentat am Münchner Flughafen ihren linken Fuß verloren hatte. Davon wird im Buch sehr eindringlich erzählt, genauso wie von anderen, prägenden Lebensstationen. Eine Aufzählung im Sinne von "wann war was, was waren ihre größten Erfolge, das wollten wir aber alle nicht, auch kein Lehrbuch mit pädagogischem Zeigefinger", sagt Yelin.

Mit "wir alle" sind Barbara Yelin und David Polonsky, der Leiter des Goethe-Instituts in Israel Wolf Iro sowie Channa Marons Kinder Ofra und Amnon Rechter gemeint. Diese hatten zusammen mit Iro die Idee, Yelin und Polonsky mit Plakaten über Channa Maron zu beauftragen, die in Form einer Wander-Ausstellung in israelischen und deutschen Schulen gezeigt werden. Zum Buch kam es erst später, nachdem Yelin bei Reprodukt gefragt hatte, ob sie an dem Thema interessiert seien. Einem Thema, das auch in Deutschland seine Relevanz hat. Denn Maron hatte schon als Kinderstar in Berlin eine Karriere, bevor sie die Stadt 1933 mit ihrer jüdischen Mutter verließ. Sie war Erich Kästners erstes "Pünktchen". In Fritz Langs "M - eine Stadt sucht einen Mörder" ist sie das Mädchen, das in der Eröffnungsszene den berühmten Abzählreim vorträgt.

Yelin, die auf dem diesjährigen Comic-Salon in Erlangen zur besten deutschsprachigen Comic-Künstlerin gewählt wurde, kannte wie viele hier Maron vorher noch nicht. Für ihre Episoden hat sie sehr viel recherchiert, hat Fotos, Bücher und Zeitungsartikel gesichtet, hat Gespräche mit Marons Kindern und Enkelkindern und ehemaligen Weggefährten geführt. Deren persönliche Geschichten vermischen sich im Comic auf raffinierte Weise mit den "öffentlichen" Bildern von Maron sowie mit historischen Fakten, die Yelin mit Hilfe des Historikers Dor Wertheimer teilweise neu zusammengetragen hat.

"Zu wissen, so ist es und nicht anders, so funktioniert mein Denken nicht", sagt Yelin selbst über ihre künstlerische Arbeit, für die sie ausschließlich Materialien benutzt, die sich radieren, übermalen, weiter verarbeiten lassen. Genauso wie wir unsere Erinnerungen ständig neu schreiben. So gut wie alles geschieht bei Yelin "analog": mit Bleistift, Aquarell, Gouache oder im Fall von "Channa Maron" mit farbiger Tusche, die sie in Tel Aviv gekauft hat. Auch Yelins handschriftliche Notizen landen meist auf Skizzenpapier, auf dem sie alles schon visuell anordnet. Dass auf dem Haus am Münchner Ostbahnhof, in dem sie aktuell ihr Atelier hat, die Wörter "Handwerk" und "meisterliche Malerarbeit" stehen, passt jedenfalls sehr gut.

In ihrer Geburtsstadt München lebt Barbara Yelin inzwischen wieder seit drei Jahren, nach einem Illustrations-Studium in Hamburg und zehn Berufsjahren in Berlin. Dass sie hierher zurückgezogen ist, hat in erster Linie private Gründe. Aber es hat auch mit ihrem künstlerischen Erfolg zu tun. Damit, dass es im Moment recht gut läuft mit den Büchern, sie Aufträge hat, und das auch ohne sich kommerziell unnötig zu verbiegen. Das heißt: Sie kann sich München mittlerweile leisten. Hier als Comiczeichnerin anzufangen, gibt sie zu, das hätte finanziell nicht funktioniert.

Ob ihr nächster Comic ebenfalls "historisch" wird, kann Yelin, die ihr Hauptinteresse bei politischen und psychologischen Themen sieht, noch nicht sagen. Eine Science-Fiction-Geschichte werde es aber wohl nicht werden. Dass sie sich dennoch für die Zukunft interessiert, das zeigt ein anderes Projekt: das 1. Münchner Comic-Camp, das Yelin zusammen mit dem Illustrator Aike Arndt leitet. Der dreiteilige Workshop, der sich an junge Zeichner und an Flüchtlinge im Alter zwischen 15 und 25 Jahren richtet, ist im Oktober schon gestartet. Für den dritten Teil vom 2. bis 6. November in Dießen am Ammersee kann man sich unter der Telefonnummer 089/ 452 05 53 31 aber noch anmelden.

Barbara Yelin/David Polonsky: "Vor allem eins: Dir selbst treu sein. Die Schauspielerin Channa Maron" (Reprodukt Verlag)

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Quelle:
SZ vom 29.10.2016
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