Literatur:"Ich soff Tränen"

RO Kwon

R.O. Kwon wuchs religiös auf, irgendwann kamen die Zweifel.

(Foto: Smeeta Mahanti)

Die in Südkorea geborene US-Amerikanerin R. O. Kwon hat einen Roman über Radikalisierung und die Sehnsucht nach Liebe geschrieben. Aus "Die Brandstifter" liest sie nun in München

Von Christian Jooß-Bernau

Phoebe wollte Konzertpianistin werden. Aber es gab da diese Platte und den Moment, als sie im Hören erkannte, an den eigenen Ansprüchen gescheitert zu sein. Phoebes Mutter, die vor ihrem gewalttätigen Mann aus Seoul floh, ist tot. Gestorben bei einem Autounfall, den Phoebe verursacht hat. Phoebe begann zu suchen - irgendetwas: Sex mit vielen Männern, Gefühle. "Ich soff Tränen", sagt sie. Wills Mutter ist depressiv. Der Vater hat die Familie verlassen. Um sich sein Studium zu finanzieren und die Mutter zu unterstützen, arbeitet Will als Kellner in einem Restaurant, wo er den Gästen die "Illusion von Liebe" vermittelt. Um mit dem sozialen Status der Kommilitonen gleichzuziehen, hat sich Will eine Biografie erfunden - mit einem Familienhaus mit eigenem Swimmingpool in den Hügeln von LA.

Will und Phoebe treffen sich in Noxhurst, einem Prototyp jener amerikanischen Unistädte, die in diesem Roman auch deswegen kein Gesicht hat, weil sie nur Raum sein soll für junge Menschen, die gerade beginnen, sich ein eigenes Leben zu bauen und sich bis dahin der Illusion des Erwachsenseins in den üblichen College-Ritualen mit viel Alkohol hingeben.

"Die Brandstifter" heißt der Debüt-Roman von R. O. Kwon, der in der Übersetzung von Anke Caroline Burger jetzt beim Münchner Verlag Liebeskind erschienen ist. Die amerikanische Literaturkritik hat "The Incendiaries" 2018 gut aufgenommen, ein Buch, das in eine Zeit zu passen scheint, in der an die Stelle von Rationalität komplexitätsverknappende Heilsbringer treten, deren egomane Schlichtheit die Lebensunsicherheit ersetzt. In den "Brandstiftern" heißt der Prophet John Leal, der, so geht seine Geschichte, einst nordkoreanische Flüchtlinge nach Seoul schmuggelte, in einen Gulag bei Pjöngjang kam und abenteuerlich nach China floh. Verglichen mit der psychischen Komplexität von Will und Phoebe bleibt Leal eine blasse Figur, dessen Handlungsantrieb keine Rolle spielt. Am Ende, sicher, da geht es auch ums Geld. Kwon nutzt Leal als Projektionsfläche für die Sehnsucht seiner Jünger, für die er Beichtvater ist, Zeremonienmeister der Situationen schafft, wie das gemeinsame Abendmahl. Phoebe fühlt die Anziehungskraft.

Kwon kam selbst als Kleinkind von Seoul nach Amerika, sie wuchs religiös auf, und irgendwann kamen die Zweifel. Das Missbrauchspotenzial von Religion und ihren Simulationsformen sieht sie in ihrem Roman scharf. Im Komplex von Sinnsuche, Beichte und höherer Wahrheit ist die Abhängigkeit angelegt. Kwon schafft Figuren, deren Biografien sie anfällig machen. Keiner dieser Bausteine ist für sich hinreichend für die Radikalisierung, in Summe aber steigt die Wahrscheinlichkeit. Erzählt wird in Kapiteln, die mit dem Namen der drei Hauptfiguren überschrieben sind. Will und Phoebe berichten aus ihrem Leben, über John Leal dagegen wird erzählt, das schafft den Nimbus des Unangreifbaren und zugleich Zweifel am Wahrheitsgehalt der Erlöserbiografie.

Will versucht Phoebe festzuhalten, aber auch er steht auf schwankendem Grund. So ist dieser Roman auch die Geschichte einer Beziehung in der von Anfang an ein Ungleichgewicht wohnt. Sie liebt nur die Verwurzelung, für ihn ist Phoebe größer als die Realität. Die Katastrophe, auf die das Buch zusteuert, kann auch wegen dieser gegenseitig falschen Erwartungen nicht verhindert werden. Was das betrifft, immerhin, sieht Phoebe klarer, dass Liebe hier nur ein Versuch ist, sich selbst zu retten. Will ist so überzeugt von seiner Aufrichtigkeit, dass sich hinter seiner Fassade ein finster gewalttätiger Zug ausbilden kann. Unschuldig ist in Kwons dunklem Roman niemand.

R. O. Kwon: Die Brandstifter (Liebeskind), Lesung am Dienstag, 17. September, 20 Uhr, Buchhandlung Lehmkuhl

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