Literatur:Heimweh schafft Helden

Literatur: Aus dem kleinen Ort Canossa in der Emilia-Romagna kommt die Schriftstellerin Simona Morani, die seit 2009 in München lebt.

Aus dem kleinen Ort Canossa in der Emilia-Romagna kommt die Schriftstellerin Simona Morani, die seit 2009 in München lebt.

(Foto: Robert Haas)

Die in München lebende italienische Autorin Simona Morani hat einen amüsanten Roman über alte Männer in ihrer Heimat geschrieben

Von Yvonne Poppek

Die Sache mit der Ape war wirklich gefährlich. Jeder im Dorf war gewarnt, wenn Gino einstieg, den Motor anließ und aufs Gaspedal trat. Gino, ein alter Mann weit über 80, war fast blind. Es empfahl sich, Gino aus dem Weg zu springen, anstatt darauf zu vertrauen, dass er bremste. Trotzdem, erzählt Simona Morani, fuhr Gino mit dem dreirädrigen Rollermobil in seinem Dorf in der italienischen Provinz Reggio Emilia herum. Und Morani, damals noch ein Kind, gehörte zu jenen, die sich in Sicherheit brachten.

Sollte Gino in dem Tempo unterwegs gewesen sein, in dem Morani davon erzählt, war dies sicher jedes Mal ein halsbrecherisches Unterfangen. Die 35-Jährige hat die quicklebendige Erzählweise, bei der man als Zuhörer versucht ist, für den Gesprächspartner mitzuatmen. Morani ist Italienerin. Und das Temperament, die expressive Gestik und Mimik, die Sprechgeschwindigkeit ihrer Heimat hat sie ohne weiteres ins Deutsche transferiert. Dazu mischt sich die Eigenheit, die Dinge von ihrer leichten, strahlenden Seite aus zu betrachten, wodurch jede Schilderung den Anstrich einer liebenswerten Anekdote erhält. Ein fast blinder, trotzdem motorisierter Opa ist da vielleicht schon eine Gefahr für Leib und Leben, hauptsächlich aber ein toller Kerl mit einem liebenswerten Tick. Von Gino jedenfalls hat Simona Morani einiges zu erzählen; von anderen Menschen aus der Provinz Reggio Emilia auch. Sie hat einen Roman daraus gemacht, der 2015 in Italien zu einem Überraschungserfolg wurde. Vor Kurzem ist er unter dem Titel "Ziemlich alte Helden" auf Deutsch erschienen. Das Cover ziert natürlich: eine Ape.

"Ich bin praktisch aufgewachsen zwischen älteren Menschen", erzählt Morani. Sie stammt aus dem geschichtsträchtigen Ort Canossa, einem Dorf mit 3800 Einwohnern. Viele Kinder gab es dort nicht. Dafür viele alte Menschen und - in der Wohnung ihrer Eltern - auch viele Bücher. Morani beobachtete also schon von klein auf ihre Umgebung, sie las und sie begann, selbst kreativ zu werden: "Ich habe immer geschrieben, Gedichte, Lieder, alles." Ihr Traum sei es stets gewesen, Schriftstellerin zu werden. Aber zugleich war dieser Traum so übermächtig, dass sie nicht wusste, wie er umsetzbar sei. So schrieb Morani also erst einmal für die Schublade - ganze Romane. Eine Teenager-Geschichte, eine Geschichte über eine junge Frau. Vieles von dem nah dran an ihrem eigenen Erleben. Parallel dazu studierte Morani Literatur. Sie schloss ihr Studium mitten in der italienischen Wirtschaftskrise 2008 ab, fand keine Anstellung und kam 2009 schließlich nach München, wo sie zunächst einen Bürojob beim Filmfest übernahm. Dies brachte ihr den Kontakt zur Filmbranche, ein Bereich, in dem sie auch heute noch arbeitet. Als freie Redakteurin begleitet sie Produktionen in Italien, bringt dort ihre Sprach- und Landeskenntnisse ein. Zudem gibt Morani an verschiedenen Institutionen Italienischunterricht. Und sie macht das, was sie immer wollte: Sie schreibt.

Der Impuls, ein Buch über alte Männer zu verfassen, die gegen ein Altenheim in ihrem Dorf rebellieren, wurzelt im Heimweh, das Morani in München verspürte. "Alles, was im Buch steht, ist inspiriert von Erinnerungen, die ich natürlich erweitert und vergrößert habe", erzählt sie. Gino, der Ape-Fahrer aus Canossa, hielt also Einzug als Figur in einen Roman. Er ist einer der wenigen, die ihren Namen behalten haben. Der ängstliche, treuherzige Ettore, der ehemalige Rocker und jetzige Barbesitzer mit Spitznamen Elvis, der einstige Schwerenöter Riccardo, sie setzen sich aus kleinen Charakterdetails zusammen, die Morani in ihrem Dorf gesammelt hat.

Ebenso Cesare, der zwar unter dem Pantoffel seiner Frau steht, aber gerne auch mal sein Hörgerät ausschaltet, wenn diese meckert. Oder Basilio, der einstige Partisan, der nur auf kauzige Weise seine Zuneigung ausdrücken kann. Oder der junge Dorfpolizist Corrado, der die alten Männer dafür drankriegen will, dass sie in der Bar gegen das Rauchverbot verstoßen. Am liebsten aber will er Gino beim Ape-Fahren erwischen. "Ziemlich alte Helden" ist ein lustiges, leichtes Buch voller kurioser Momente und Dialoge. In der Dorfgemeinschaft kennt natürlich jeder jeden. Gemeinsam ist man dort - mit wenigen Ausnahmen - alt geworden. Weil es bei jedem irgendwo zwickt, wird nichts mit respektvollem Ernst betrachtet. Und weil alt sein so unfassbar normal ist, wird jede andere Betrachtungsweise absurd.

Im Gegensatz zu ihren ersten beiden Romanen, die Morani in der Schublade ließ, wollte sie, dass "Ziemlich alte Helden" möglichst viele Menschen lesen. Diese Ansicht teilte auch der Giunti-Verlag, der das Buch "Quasi arzilli" herausbrachte. Und es war auch für den deutschen Markt interessant, so dass Carl's Book, zur Verlagsgruppe Random House gehörend, den Roman übersetzen ließ und publizierte. In Italien ist in diesem Jahr bereits Moranis zweiter Roman erschienen, der sich wieder aus ihren eigenen kuriosen Erlebnissen speist. Von diesen Begebenheiten kann sie übrigens genauso temporeich erzählen, wie von Gino. Im Gespräch - und vermutlich auch im Buch.

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