Literatur:Fluchtgedanken

Marianne Achs neuer Tagebuchroman

Von Sabine Reithmaier

Marianne Ach zählt nicht zu den redseligen Menschen. Lakonisch und präzise gibt sie Auskunft über sich, spürt jedem gesagten Wort genau nach, gerade so, als wolle sie hinter dessen Oberfläche eine tiefere Wahrheit ausloten. Darin ähnelt sie der Hauptfigur ihres neuen Romans "Von gestern eine Spur" (Lichtung Verlag). Theres ist allerdings 25 Jahre jünger als ihre Autorin und führt auch sonst ein ganz anderes Leben als ihre Schöpferin. Keine Selbstverständlichkeit, da sich Ach in mehreren ihrer Bücher an ihrer Kindheit und Jugend abgearbeitet hat. "Aber die Oberpfalz ist passé für mich", sagt die 75-Jährige.

Im Unterschied zu ihrer Figur hat Marianne Ach keinen Sohn und ist seit 40 Jahren mit demselben Mann verheiratet. Theres dagegen halten die Menschen, die unentwegt aus ihrem Leben verschwinden, in Atem: der erste Mann, den sie wegen seiner Seitensprünge verlässt, der zweite, der wegen ihrer Eifersucht geht, Freundinnen, die sterben, und vor allem der Sohn, der als 16-Jähriger wortlos verschwindet.

In tagbuchartigen Notizen reflektiert sie über ihr Leben, ihre Beziehungen, hält alltägliche Erlebnisse fest. Im Innenleben trifft sie sich auch wieder mit ihrer Erfinderin. "Alles, was sie denkt, was ihr Bewusstsein geprägt hat, was sie beobachtet, ist meins", sagt Ach. Viele Episoden hat sie genauso erlebt. Jene Frau etwa, die weinend nach der S-Bahn fragt. Theres erklärt es ihr, begleitet sie aber nicht dorthin - genauso wenig wie es Marianne Ach im wirklichen Leben getan hat. "Das nehme ich mir heute noch übel."

Literatur: Marianne Ach, 1942 in Eslarn in der Oberpfalz geboren, widmet sich erst seit ihrer Pensionierung ganz dem Schreiben. Im neuen Buch hält sie die Gedanken einer 50-jährigen Frau fest.

Marianne Ach, 1942 in Eslarn in der Oberpfalz geboren, widmet sich erst seit ihrer Pensionierung ganz dem Schreiben. Im neuen Buch hält sie die Gedanken einer 50-jährigen Frau fest.

(Foto: oh)

Verschwinden und fliehen - das waren auch wichtige Themen in ihren anderen Büchern. Vielleicht weil sie selbst oft geflüchtet ist. Als Dreizehnjährige aus der freudlosen Enge des mütterlichen Haushalts ins Internat - "dabei waren die Nonnen dort so unglaublich hart, ich habe oft ins Bett geweint." Sie hielt durch, weil sie wusste, anders würde sie zu keiner höheren Schulausbildung kommen, die Mutter hätte es nicht finanzieren können. Mit 19 tritt sie in das Kloster der Dillinger Franziskanerinnen ein, gerät von einer Strenge in die nächste. Zehn Jahre lang arbeitet sie als Kindergärtnerin und Katechetin. Und bricht dann wieder aus, endgültig. "Das war eine Flucht in die Freiheit." Sie geht nach München, studiert, heiratet und unterrichtet bis zu ihrer Pensionierung als Realschullehrerin Deutsch und Religion.

Zu schreiben hat sie spät begonnen. "Ich habe lang gebraucht, bis es mir gelungen ist, meine innere Mauern zu sprengen", sagt sie. Ihre ersten Kurzgeschichten, subtile Momentaufnahmen ihrer herben Kindheit, gibt sie 1998 noch im Selbstverlag heraus, 2004 erscheint "Goldmarie, Pechmarie", ihr erster Roman. Seither schreibt sie täglich, um sich durch das Wort zu bändigen, wie sie es formuliert. "Ich bringe mich selbst in Form", sagt sie und erzählt von ihrer impulsiven, direkten Art, die ihr nicht nur Freunde einbringe. Gern schreibt sie übrigens in der Trambahn, ihr Notizbuch hat sie immer dabei, um zu verhindern, dass ihr ein guter Satz entgeht, ein Gedanke vergessen wird. Wichtig ist ihr auch das offene Romanende. "Ich will weiterdenken können, also mute ich das auch dem Leser zu."

Von der Kirche hat sie sich innerlich weit entfernt. Im Roman lässt sie Theres ausgiebig über von Menschen gemachte Gottesbilder sinnieren. "Ich bin mir bis heute nicht sicher, ob meine eigene Religiosität pseudohaft war, nur antrainiert durch die Nonnen oder doch echt", sagt Ach. Sie vermisst vor allem die Freude in der Kirche. "Immer hat bloß Leid, Schuld, Sühne Platz - das lehne ich ab." Nicht der Gekreuzigte, sondern der Auferstandene müsse im Mittelpunkt stehen, findet sie.

Auf die Idee, einen Tagebuchroman zu schreiben, brachte sie übrigens "Die vier Jahreszeiten" von Sándor Márai. Die klugen Miniaturen des ungarischen Dichters schätzt Marianne Ach ungemein, nicht nur wegen seiner Sprachkunst. Theres darf den Dichter sogar einmal zitieren. "Doch das Leben wollte von mir nur das eine, Wahrhaftigkeit. Das ist meine Bestimmung. Schwer, dies zu erkennen, schwerer noch, es zu ertragen." Eine Herausforderung, die ganz eindeutig auch für Marianne Ach gilt.

Marianne Ach: Von gestern eine Spur; Lesung am Sonntag, 7. Mai, 11 Uhr, Mohr-Villa, Situlistraße 75

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