Literatur:Fang die Traumbälle auf

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(Foto: Tulipan)

Nikola Huppertz beschwört in "Schön wie die Acht" die Magie der Mathematik und Lyrik.

Von Christine Knödler

Malte ist ein Mathe-Ass. Er liebt Zahlen, ganz besonders die Acht, er trainiert für die Mathe-Olympiade und will Landesmeister werden. Doch das Leben ist keine Gleichung, die glatt aufgeht. Bruchrechnen passt eher. Der Bruch in Maltes Leben heißt Josefine. Sie ist seine Halbschwester. Bisher kannte er sie so gut wie nicht, vorübergehend ist sie bei ihm und seinen Eltern eingezogen und mischt die Vater-Mutter-Kind-Idylle auf. Josefine ist anders. Unverbindlich, unangepasst, das Gesicht gepierct, die Musik laut und düster, sie schwänzt gern mal die Schule. Sie tut, was sie für richtig hält. Sie widerspricht, sie sagt, was sie denkt. Das ist, was ihren und Maltes Vater angeht, wenig schmeichelhaft. Und Josefine schreibt Gedichte. Reicht es nicht, dass Malte schon in der Schule mit Lyrik malträtiert wird, etwa mit "Zirkuskind" von Rose Ausländer? Darin heißt es: "Werfe dir Traumbälle zu / Fang sie auf."

Nun ist es reichlich kühn, Mathe, Deutsch, die Beschäftigung mit komplizierten Formeln und komplexen Versen in einem Buch nahezu eins zu eins nachzuerzählen. Doch Nikola Huppertz geht noch weiter. Sie lässt Malte über Gedichtzeilen assoziieren und sich auf diese Weise selbst finden. Dazu entfaltet die Autorin einen ganzen Kosmos an Geschichten. In "Schön wie die Acht" geht es um die Liebe und Leidenschaft zu Zahlen und zu Worten. Es geht um Mathematik und um Gedichte. Es geht um Zeichen, Sprache, Sprachlosigkeit. Weil Gefühle nicht logisch sind, nimmt sich die Autorin der ganzen Bandbreite an: der Missverständnisse, Erwartungen, Enttäuschungen, des Streits bis hin zum Verrat - das Drama der Erwachsenen. Das Ergebnis ist eine Familien-Freundschafts-Liebes-Selbstfindungsgeschichte voller Poesie und Präzision. In der Mathe-AG trifft Malte Lale und verliebt sich. Er lernt seine Schwester, seine Familie und sich selbst besser kennen, indem er Josefines Gedichte liest. Und plötzlich haben Zahlen und Worte, Rechnen, Aufrechnen, Schweigen und Verschweigen sehr viel miteinander zu tun. "Eine Lüge ist nichts ohne ihren Grund", erkennt Malte. "Es ist wie in der Mathematik. Was ist schon eine Zahl ohne ihren Zahlenraum?" Und ein Mensch ohne seine Geschichte?

Diese Geschichten zeichnet Nikola Huppertz einfühlsam und klug nach. Die Zahlen geben den sicheren Grund, um Schritt für Schritt weiterzugehen, dorthin, wo es wehtut, und wo die Grenze zwischen richtig und falsch fließend ist. Und die Worte? Die können benennen, bekennen, verletzten, verbinden, versöhnen. Manchmal verstecken sie sich. Manchmal braucht es die Worte anderer, um sagen zu können, was man selbst nicht sagen kann: die Worte einer großen Dichterin. Die Worte einer großen Schwester. Bis einer eigene Worte findet und eine Gleichung mit Unbekannten löst. Bis einer sich schließlich Traumbälle selbst zuwirft. Um sie aufzufangen und von da aus weiterzuwerfen. (ab 12 Jahre)

Nikola Huppertz: Schön wie die Acht. Mit Illustrationen von Barbara Jung. Tulipan, München 2021. 224 Seiten, 14 Euro.

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