Süddeutsche Zeitung

Literatur:Erwischt?

Der Literatur-Nobelpreisträger Bob Dylan soll in seiner Vorlesung plagiiert haben. Doch diese Vorwürfe werden überschätzt. Bob Dylan wäre nicht er selbst, hätte er nicht immer schon recht freizügig gearbeitet.

Von Jan Kedves

Finderstolz ist eine perfide Form des Stolzes, denn sie verleitet dazu, den Wert des Gefundenen maßlos zu überschätzen. Nur so lässt sich begreifen, warum jetzt so eine große Sache daraus gemacht wird, dass Bob Dylan angeblich Passagen seiner kürzlich eingereichten Literatur-Nobelpreis-Vorlesung plagiiert habe. Dylan beim Klauen erwischt? Erst fiel dem Autor Ben Greenman auf, dass ein Zitat, welches Dylan Herman Melvilles "Moby-Dick" zuschreibt, so in "Moby-Dick" nicht zu finden ist. Das Online-Magazin Slate fand beim Versuch, dies nachzuprüfen, heraus, dass insgesamt 20 Zeilen in der "Moby-Dick"-Passage der Vorlesung Ähnlichkeiten mit Formulierungen aus der Online-Studienhilfe SparkNotes aufweisen. Wie das heute so ist: Man will kurz schauen, ob Person XY sauber gearbeitet hat, füttert den Text in die Suchmaschine, und die spuckt ähnliche oder identische Quellen aus, macht aber keinen Unterschied zwischen Kunst und Doktorarbeit. Und da liegt das Missverständnis: Was sollte überraschend daran sein, dass Dylan sich hier und da bedient und teils stärker, teils weniger stark paraphrasiert, ohne Fußnoten zu setzen? In der Folk-Tradition stehend, hat er schon immer so gearbeitet, egal ob er Ovid oder Shakespeare zitierte oder für "Blowin' In The Wind" die Melodie des Sklaven-Spirituals "No More Auction Block for Me" übernahm. Dylans Kunst war es stets, seine Quellen über-, um- oder fortzuschreiben, oder eben: zu dylanisieren. Dafür hat er den Literaturnobelpreis bekommen. Merkwürdig, wenn man nun meint, dies skandalisieren zu müssen und mit den Mitteln der Digitalisierung auf einen prädigitalen Genie-Begriff zurückfällt.

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Quelle:
SZ vom 16.06.2017
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