Literatur:Eine syrische Beerdigung

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Der renommierte syrische Schriftsteller Khaled Khalifa lebt bis heute in Damaskus. In dem Roman "Der Tod ist ein mühseliges Geschäft"erzählt er von einem Land, in dem das eigene Überleben von der Laune der Soldaten abhängt.

Von Cornelius Wüllenkemper

Es gibt nur wenige syrische Autoren, die trotz des sieben Jahre andauernden Bürgerkriegs das Land nicht verlassen haben. Neben Niroz Malek, dessen Textsammlung "Der Spaziergänger von Aleppo" im vergangenen Jahr auf Deutsch erschien, ist einer von ihnen der Damaszener Khaled Khalifa. Der 1964 geborene Essayist, Dichter, Drehbuchautor und Schriftsteller gilt als einer der wichtigsten in Syrien lebenden Kritiker der Diktatur Baschar al-Assads. Khalifas Romane, die zum Großteil nicht in seiner Heimat erscheinen dürfen, wurden wiederholt für den "International Prize for Arab Fiction" nominiert. Mit "Der Tod ist ein mühseliges Geschäft" erscheint nun sein erstes Buch Deutsch.

Khaled Khalifa: Der Tod ist ein mühseliges Geschäft. Roman, aus dem Arabischen von Hartmut Fähndrich. Rowohlt, Hamburg, 2018, 222 Seiten, 20 Euro. (Foto: N/A)

Im Mittelpunkt des Buches stehen die drei Geschwister Fâtima, Hussain und Bulbul, die den Leichnam ihres verstorbenen Vaters aus Damaskus in seinen Geburtsort in Nordsyrien überführen wollen. Im Minibus des älteren Bruders Hussain machen sie sich auf den Weg, um ihren Vater an der Seite seiner Schwester zu begraben, denn ein einsamer Tod gilt immer noch als größte Schande. Bereits an der Autobahnzufahrt werden sie von Scharfschützen bedroht. Auf der Fahrt durch die Vororte von Damaskus in Richtung Aleppo passieren sie unzählige Kontrollen von Islamisten, Rebellen und Regierungstruppen, bei denen es allein dem Zufall überlassen scheint, ob und wie man sie unbeschadet übersteht. Ihr Vater hatte als pensionierter Lehrer zuletzt den Friedhof in einem Rebellendorf verwaltet. Den Agenten des Regimes gilt er seither als Terrorist, seiner Familie droht Sippenhaft. An einem Checkpoint winkt man den Leichentransport als "Ware" durch, am nächsten wird der leblose Körper als Oppositioneller gemeinsam mit seinen Söhnen inhaftiert.

Der Weg von seinem Wohnhaus bis zu seinem Arbeitsplatz habe ihn früher zehn Minuten gekostet, erzählte Khalifa kürzlich in einem Interview. Jetzt benötigt er für die gleiche Strecke bis zu zwei Stunden: Bombardements, militärische Checkpoints, wahllose Kontrollen und Verhaftungen legen das öffentliche Leben in Syrien seit Jahren lahm. Das erleben auch die drei Geschwister aus Khalifas Roman. Was bedeutet schon ein einzelner Toter in einem Krieg, der bis heute eine halbe Millionen Opfer forderte, in dem die Lebenden erstarrt sind in einer quälenden Todeserwartung? Der Tod ist in Syrien zu einem "mühseligen Geschäft" geworden, allein weil er keinen Wert mehr hat außer dem der "Erlösung, die den Neid der Lebenden erweckt." Khaled Khalifas Bericht aus einem Land, in dem der "Mensch ein Packen Dokumente und Unterlagen, kein Wesen aus Leib und Seele" ist, wirkt weder anklagend noch sentimental sondern eher nüchtern bis hin zum Sarkasmus. Vier Tage benötigen die Geschwister für die 250 Kilometer ins Heimatdorf des Vaters. Vier Tage, in denen die Verwesung des Leichnams zusehends fortschreitet. Die körperliche Auflösung und den Geruch des Todes spiegelt Khaled Khalifa dabei am Verfall eines ganzen Landes und seiner Zivilisation. In immer wieder eingeflochtenen Rückblenden erzählt Khalifa zugleich von einer Familie, die genau wie ihre Heimat unwiederbringlich zerrissen ist zwischen Tradition und Moderne, zwischen Angststarre und Wut, zwischen dem Glauben an eine demokratische Revolution und der blutrünstigen Realität. Dabei weiß jeder: "Ein Labyrinth ist kein geeigneter Ort, um alte Rechnungen zu begleichen."

Der körperliche Verfall spiegelt hier den Kollaps eines ganzen Landes

Die drei Geschwister haben sich auf ihre Art mit den Zwängen des Krieges, mit der konservativen Konterrevolution und der Diktatur samt ihren "Faschisten mit den Gewehren" arrangiert. Fatîma, die einmal Lehrerin werden wollte, hat sich dem Leben als unterdrückte Ehefrau ohne Rechte und ohne Willen gefügt. Hussain wiederrum ist statt Personenschützer für Prominente zum Fahrer russischer Tänzerinnen in Damaskus geworden. Und der frühere Philosophiestudent Bulbul führt ein Schattendasein als Händler von Trockenfrüchten und mustergültiger Bürger unter der Regierungspartei des Assad-Clans. Denn kurz nach dem Aufflammen der syrischen Revolution vor sieben Jahren war Denken bereits zu einem "richtigen Verbrechen geworden, das geahndet wurde." Khaled Khalifas Figuren sind alles andere als Helden, und genau das macht sie so greifbar.

Er selbst habe keine Angst mehr vor den Kriegsgefechten, selbsternannten Milizen oder Assads Folterkellern, schrieb Khaled Khalifa unlängst in seinem Essay über "Die Letzten eines leeren Landes". Auch die Flucht komme für ihn nicht infrage, weil er weder sein Leben im Mittelmeer noch, seine Identität im Exil verlieren möchte. In seinem Stammcafé in Damaskus schreibt er weiter, erfindet Figuren und erschafft Fantasiewelten in der Erwartung dessen, was die unberechenbare Realität ihm bescheren mag. Dieser Geist des inneren Exils, der stillen Revolution gegen eine menschliche Tragödie, ist in seinem Roman in jeder Zeile präsent. Während der Autor Khalifa als einer der letzten Intellektuellen im Lande ausharrt, sind seine literarischen Figuren dem Krieg längst erlegen.

© SZ vom 27.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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