Süddeutsche Zeitung

Literatur:Ein deutsches Buch versetzt das rechte Amerika in Hysterie

Sollen mit "Communism for Kids" schon die Kleinsten mit einer brutalen Ideologie indoktriniert werden? Die Rechte in den USA sieht das so. Die Berliner Autorin des Buches wehrt sich.

Von Johanna Bruckner, New York

Die 112 mit Comic-Zeichnungen gespickten Seiten bieten nicht weniger als Anleitung zur Schreckensherrschaft: Kinder lernen, wie sie im Kindergarten einen Gulag errichten. Ihnen wird nahegelegt, sich ein Beispiel an Diktatoren zu nehmen, die sich des Völkermords schuldig gemacht haben. Und als wäre das noch nicht genug, betreibt der Band Gotteslästerung, indem er dazu aufruft, Satan anzubeten. Für nur 12,95 US-Dollar können sich Eltern mit dem Büchlein "Communism for Kids" eine Anleitung ins Haus holen, mit der ihre Töchter und Söhne das westlich-liberale System in den Ruin treiben werden.

Das sei zumindest der Tenor der Kritiken und Kommentare bei Amazon und Youtube, schrieb jüngst Jacob Blumenfeld in der New York Times. Blumenfeld ist einer der amerikanischen Übersetzer des Buches, das im Original von der Berliner Soziologin und Autorin Bini Adamczak stammt und in Deutschland bereits 2004 herauskam. Hierzulande sorgte es allerdings für wenig Aufregung. Das lag wohl vor allem am deutschen Titel: "Kommunismus: kleine Geschichte, wie endlich alles anders wird." (mittlerweile in der vierten überarbeiteten Auflage erhältlich). Das klingt nicht nach politischer Indoktrination von Kindern.

In der Variante, die jüngst in den USA veröffentlicht wurde, heißt es allerdings "Communism for Kids". Kommunismus und Kinder, getrennt nur durch eine kleine Präposition - das war eine Steilvorlage für Amerikas Rechte und ihre Medien. Und demonstrierte, in welchem Dauer-Erregungsmodus sie sich befinden: Die Autoren von American Conservative über Breitbart bis zum in Ungnade gefallenen Provokateur Milo Yiannopoulos stürzten sich mit entsetzter Wonne auf den kleinen weißen Band, erschienen im Wissenschaftsverlag MIT Press.

"So gern man hoffen würde, dass dieses Buch ein Witz ist, es scheint echt zu sein", ätzte beispielsweise Yiannopoulos. Und die Kritikerin der Washington Times - der konservativen Alternative zur Washington Post - fragte süffisant: "Sie fragen sich, wie die Fortsetzung heißt - 'Diktatur für Dummys'?" Selbst die Webseite The Daily Beast war sich nicht zu schade für einen Hitler-Vergleich. Man konnte dort immerhin lesen, dass auch der deutsche Diktator versucht habe, Kinder politisch zu manipulieren. Dazu passend bekommen die Leser einen kleinen Nachhilfekurs in Geschichte; das Portal listet die Verbrechen auf, die in kommunistischen Regimen passiert sind.

Eine Angststörung namens Kommunismus

Doch wie kommt es, dass selbst ein Portal wie Daily Beast, das sonst ja nicht im Verdacht steht, rechtspopulistische Parolen nachzuplaudern, reflexhaft auf ein einziges Wort anspringt?

Blumenfeld diagnostiziert eine tief verwurzelte Angststörung bei seinen Landsleuten: Allein das Wort Kommunismus - auf dem Buch-Cover passenderweise in Alarm-Rot gehalten - löse bei Amerikanern eine Anti-Reaktion aus, weil es auf eine alternative Gesellschaftsform hindeute. Eine Gesellschaftsform, die so gar nichts zu tun habe mit den Fetisch-Begriffen der Gegenwart: Märkte, Industrie, Mittelklasse, Job-Motor, Lean Start-ups, Globalisierung, Gig Economy. Allein darüber nachzudenken, dass es dazu eine Alternative geben könnte, werde als unamerikanisch, eben kommunistisch empfunden, schreibt Blumenfeld.

Ähnlich sieht das die deutsche Autorin des Werks. Sie habe nach der US-Wahl im vergangenen November zwar mit Widerstand gerechnet, das Ausmaß des Shitstorms habe sie dann aber doch überrascht, erzählt Bini Adamczak am Telefon: "Ich habe mehr als 2000 Kommentare gelesen. Der Hass, der sich da entladen hat, war enorm."

Dabei sei Antikommunismus kein Phänomen der Gegenwart, so Adamczak. In den USA gebe es allerdings eine Besonderheit: Dort seien Kapitalismus und Nationalismus so miteinander verschmolzen, dass sich manche Amerikaner in ihrer nationalen Identität angegriffen fühlten, wenn ihr Wirtschaftsmodell infrage gestellt werde. "Außerdem suchen die verschiedenen Fraktionen der Rechten nach Gemeinsamkeiten - von überzeugten Neoliberalen über fundamentalistische Christen bis hin zu Neofaschistinnen und -faschisten. Obama ist ja nun kein Gegner mehr, auf den sich alle verständigen können. Das Feindbild Kommunismus wirkt als Kleber."

In Gänze gelesen haben dürften die wenigsten Kritiker und Kommentatoren Adamczaks Ausführungen. Spätestens im umfangreichen Epilog hätte man sonst gemerkt: Hier schreibt keine Kinderbuchautorin, sondern eine Wissenschaftlerin für ein interessiertes und mit dem Gegenstand vertrautes Publikum.

Das kann man schon auf den ersten Seiten des Buches erahnen, denn da geht es erst einmal um die Übel des Kapitalismus: "Das Einzige, wofür sich die Fabrik interessiert, ist, dass möglichst viel hergestellt und verkauft wird. Deswegen will die Fabrik nur, dass die Menschen glücklich sind, wenn dadurch mehr verkauft wird. Dann aber müssen die Menschen glücklich sein, auch wenn sie gar nicht glücklich sind." Warum also der missverständliche englische Titel?

Übersetzer Blumenfeld verteidigt die Wahl als Kunstgriff, als Wortspiel, als "eleganten Weg", um zu transportieren, dass sich das Buch keineswegs nur an Kinder richte. Die Autorin erzählt, dass sie schon bei den Vorbesprechungen Zweifel hatte. "Ich habe das Buch nie für Kinder geschrieben, sondern für meine Freundinnen."

Damit meint Adamczak Frauen und Männer. Auch im Buch verwendet sie konsequent das generische Femininum; wenn es um Klassenunterschiede geht, ist von Prinzessinnen, Bäuerinnen und Händlerinnen die Rede. Dass die Autorin eine gesellschaftspolitische Agenda hat, bestreitet sie gar nicht - doch wer ihrem Buch die kritische Haltung abspricht, hat es eben nicht gelesen. Kapitelweise werden fünf kommunistische Versuche nachgezeichnet, die am Ende allesamt scheitern.

"Ich wollte ein von Sachzwängen befreites Buch über Kommunismus schreiben"

Die Idee für ihr Buch sei 2003 im Nachgang zu einer Konferenz zum Thema Kommunismus entstanden, erzählt Adamczak. Dort sei darüber diskutiert worden, wie man den belasteten Begriff wieder verwendbar machen und das utopische Potenzial des Konzepts herausarbeiten könnte. "Ich wollte ein Buch schreiben, das von der Befreiung von vorgeblichen Sachzwängen handelt. In dem es um die immer wieder enttäuschten Hoffnungen und unerfüllten Wünsche geht, die ursprünglich in dieser politischen Bewegung steckten." Von ihren Kritikern wird Adamczak die einfache Sprache nun als Naivität ausgelegt. Zumindest von jenen, die das Buch durchgeblättert haben.

Ursprünglich war das Buch ohnehin für eine ganz andere Leserschaft gedacht. Die Entscheidung, ihr Buch ins Englische zu übersetzen, sei lange vor der heißen Phase des Wahlkampfs in den USA gefallen, erzählt Adamczak. "Seit der Finanzkrise gibt es einen sehr großen Teil der Bevölkerung, der nicht mehr an die Versprechen des neoliberalen Kapitalismus glaubt, denken Sie an Occupy Wall Street oder die Bewegung um Bernie Sanders - der US-Verlag hat vermutlich eine Möglichkeit gesehen, mit dem Buch ein neues Publikum zu erreichen."

Die Breitbart-Journalistin beschließt ihren Text im Übrigen so: "Breitbart News wird keine ordentliche Rezension zu 'Communism for Kids' veröffentlichen, aus Respekt gegenüber Kommunisten, die entrüstet sind, dass dieses Buch verkauft wird." Im Kommunismus, so die Implikation, müsse schließlich alles frei erhältlich sein. Doch ein Buch über Kommunismus ist eben noch kein Kommunismus.

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