Süddeutsche Zeitung

Literatur:Dunkle Kunst der Liebe

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Der niederbayerische Schriftsteller Berni Mayer musste erst nach Berlin gehen, um seine Heimat neu zu deuten. Das Ergebnis ist der schrecklich schöne Roman "Rosalie"

Von Bernhard Blöchl

Die Geschichte führt nach Grafentraubach und Laberweinting bei Mallersdorf im Landkreis Straubing. Sie handelt von einem Niederbayern, der über Regensburg und München nach Berlin gehen musste, um seine Heimat in einem anderen Licht zu sehen. "Wo vorher ein klein wenig revanchistisch angehauchte Gleichgültigkeit war, ist jetzt Liebe und Schrecken." Berni Mayer heißt der Mann, ein Schriftsteller und Musiker ("The Gebruder Grim"), von dem unlängst der wunderbare Roman "Rosalie" (Dumont) erschienen ist, ein Buch, das von der ersten Liebe in der Provinz handelt, vom scheinheiligen Dorfleben in den Achtzigern und einem schaurigen Geheimnis um ein verschlamptes Nazi-Verbrechen. Ein Buch mit Romantik und Relevanz, das den amerikanischen Begriff "Southern Gothic" in Bayern verankern soll. "Bavarian Gothic", so hieß denn auch der Arbeitstitel.

Die Geschichte begann vor ein paar Jahren, als sich der Autor Berni Mayer neu orientieren wollte. Nach seiner im Heyne-Verlag erschienenen Krimi-Trilogie um den arbeitslosen Musikjournalisten Max Mandel wollte Mayer, Jahrgang 1974, einen neuen literarischeren Weg einschlagen; er arbeitete an einer Liebesgeschichte im Tschernobyl-Jahr, geplant war eine Anthologie über "Deutsche Katastrophen". Daraus wurde nichts, aber die Teenager-Lovestory blieb. Und sie wuchs. Es gibt auch einen Song von Berni Mayer, der "Rosalie" heißt, der die Gegenwehr gegen die Erwachsenenwelt im Buch vorausdeutet: "Der Niedergang lauert an allen Ecken", heißt es darin. "Du willst dich finden, ich will uns verstecken. Eine Zeit der Wunder kommt. Dunkle Künste regieren." Dazu kam die Vorliebe des Autors für die Mystery-Serie "Twin Peaks", für Harper Lee und realistische Gothic-Geschichten.

Seine eigenen Schauergeschichten, solche aus dem "moosigen Untergrund", fand er in der Heimat. Vor allem ein vertuschtes Nazi-Verbrechen, das sich in Laberweinting, Mayers einstigem Nachbarort, zugetragen hat. Dass dort in den letzten Kriegsjahren ein sogenanntes Polenkinderlager errichtet worden war, Säuglinge dabei getötet wurden, ist erst seit ein paar Jahren öffentlich dokumentiert. Der Fall war ein Motor für den Schriftsteller, der die Aufdeckung des Grauens literarisch in die Achtzigerjahre verlegte und seine jungen Protagonisten damit konfrontierte. So fanden die Puzzleteile zusammen, und die Außenseiter-Ballade im Tschernobyl-Regen wurde durch den mysteriösen Thrill in eine höhere Dimension gehievt.

"Ich habe mich immer gescheut, über Heimat zu schreiben", sagt Berni Mayer, der in Mallersdorf geboren wurde, in Grafentraubach aufgewachsen ist und in Regensburg Deutsch und Englisch studierte. Bedeutungslos und marginal sei ihm die Region erschienen. Nun, nach mehr als zehn Jahren in Berlin, wollte er den Heimatbegriff neu definieren - und "entkomplizieren", wie er sagt. Schluss mit der Opferperspektive und der Frage, was die Heimat mit einem mache. Statt schwermütig und nostalgisch zu werden, stürzte er sich auf die Geheimnisse und Abgründe, auf die Geografie und die Bauten, auf das Groteske. Er rückte, so muss man es sagen, Grafentraubach auf den Leib. Da kam ihm die Nazi-Geschichte gerade recht.

Im Buch ist von Praam an der Schwarzen Laaber die Rede, so viel Fantasie muss sein. So viel Heimatschutz darf sein. Mayer spricht gern vom "magischen Realismus", wenn er Fiktion und Fakten mischt. Hier in Praam, zwischen Kriegerdenkmal und Gurkenfeldern, zwischen Sägewerk und Wasserschloss meutern Konstantin, ein fiebriger Wirtssohn, und seine Clique ungelenk und naiv gegen die autoritäre Welt der Eltern und der Kirche.

Mit dem Zuzug der Neuen kommt "Action" in den Jungs-Alltag. Die Neue heißt Rosa, eigentlich Rosalie, und es dauert nicht lang, bis sie und Konstantin nicht nur gemeinsam "Amerikaner" vom Bäcker essen, sondern sich im Schlamm des Baumfriedhofs näherkommen. "Sie roch nach Zitrone, doch der erste Kuss schmeckte nach nichts." Im Liebestaumel, kurz nach dem Tschernobyl-Super-Gau, der Riss im Idyll: Rosalie und Konstantin entdecken eine Leiche im Wasserschloss. Die Spurensuche gefährdet nicht nur die zarte Beziehung, sondern auch Konstantins Verhältnis zum Dorf. Diejenigen, die lieber verdrängen als verarbeiten, gibt es überall. "Rosalie" ist schon deshalb ein herausragendes Buch, weil Mayer um alle Klischeefallen herumfabuliert, die der Heimatroman bereithält.

Die Figuren um Konstantin und Rosalie heißen "der Böhmi" und "der Bartl", und auch "der Hämorrhoiden-Schorsch" bekommt seine Auftritte. Sie sind exzentrisch, aber keine Witzfiguren. Traditionen und Landbräuche wie die Osteraktion, "um rote Eier" zu gehen, sind detailliert beschrieben, werden nie ironisiert. Und auch der kernige Ton der Dialoge ist vorzüglich: ",Zischt's euch', sagte der Radlmeier. ,Langsam reiten, Radl', sagte der Böhmi." Wer jung war in den Achtzigern auf dem bayerischen Land, dem wird warm ums Herz bei diesen Zeilen. "Saukrüppel" hier, "Null" als Verneinung da. So hat man sich damals ausgedrückt.

Wie klug und genau Mayer seine Geschichte gebaut hat, zeigt sich in der erzählerischen Klammer, der zweiten Ebene: Ausgangspunkt für die Erinnerungen an damals ist die Rückkehr des erwachsenen Konstantins zum Ort seiner Kindheit. Bei der Beerdigung seines Vaters packt ihn die Wut. Die Wut über das vergessene Vergessen. Die Handlung im Hier und Jetzt steuert auf das mögliche Wiedersehen mit Rosalie zu, fein komponiert im Wechsel mit den Erinnerungsschüben.

Mayer selbst erinnert sich gern an früher. Auch an München, wo er ein paar Jahre lang als Online-Redakteur bei MTV gearbeitet hatte, bevor er nach Berlin ging. Ohne Reue. Er sagt: "München würde mich als minderverdienenden Freiberufler ausspucken." Der 42 Jahre alte Vater von zwei Kindern hat seinen Frieden mit der Heimat gefunden, und im Untergrund brodelt es. Irgendwas brodelt immer.

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Quelle:
SZ vom 12.12.2016
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