Literatur:"Dumpf und schläfrig"

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"Enfant terrible" der Münchner Gesellschaft: der junge Autor Lion Feuchtwanger. (Foto: Scherl/Süddeutsche Zeitung Photo)

Ein Symposium erforscht das Verhältnis Lion Feuchtwangers zu Bayern und den Passionsspielen

Von Sabine Reithmaier, München

Die Familie hatte es nicht leicht mit Lion Feuchtwanger. Der älteste, 1884 in München geborene Sohn eines jüdischen Fabrikanten, war bereits als Student außerordentlich selbstbewusst und kompromisslos und ließ sich auch durch böse Kritiken oder Rückschläge nicht von seinen Plänen abbringen. Das viertägige Symposium der Internationalen Feuchtwanger Society kreiste in einer Fülle von Referaten um die frühen Jahre des Schriftstellers und Literaturwissenschaftlers.

Im Frühjahr 1909 jedenfalls schaffte er es, dass sich ganz München über das "enfant terrible" des weitverzweigten Clans den Mund zerriss. Ein entfernter Verwandte wurde sogar bei seinem Vater vorstellig und bat darum, Lion anzuhalten, bei seinen Unternehmungen künftig nicht mehr den Familiennamen zu verwenden. 1902 hatte der Literaturstudent mit anderen Mitstreitern den literarischen Verein Phoebus gegründet. Die Gruppe veranstaltete Vortrags- und Theaterabende, "arbeitete auch am Projekt der eigenen Bedeutsamkeit", sagte der Feuchtwanger-Biograf Andreas Heusler. Der junge Vereinsvorsitzende scheut als Kulturmanager kein finanzielles Risiko. "Man dachte und plante stets groß", sagte Heusler. Sogar dem erfolgreichen Gerhart Hauptmann luchste der Phöbus-Chef die Aufführungsrechte für sein Stück "Und Pippa tanzt" ab. Dafür mietete er das Künstlerhaus an. "Die Aufführung gut, das Publikum glänzend, das Defizit riesig", notierte Feuchtwanger am 31. Dezember 1906 im Tagebuch.

Aber nicht dieses Abenteuer ruinierte den Phoebus endgültig, sondern ein Faschingsball im Löwenbräu-Keller. Ein "Sponsor" hatte angeboten, den Saal, passend zum griechischen Motto, antik zu dekorieren. Leider zahlte er die Handwerker nicht, die daraufhin während des Balls auftauchten und ihr Geld forderten. Die jungen Organisatoren reagierten panisch und riefen die Schutzmannschaft. Vor deren Großaufgebot flüchteten die entsetzten Ballgäste in Scharen.

Die Angelegenheit, die als Phöbus-Skandal in die Münchner Annalen einging, hat ein Nachspiel vor Gericht. Der Spott in den Medien ist groß. Der Journalist Kurt Eisner, der spätere Ministerpräsident, witzelt in der Münchner Post, einer auflagenstarken sozialdemokratischen Zeitung, über das "Margarine-Barönchen". Der Ball habe so viel "mit Apollon zu tun, wie Herr Feuchtwanger mit Literatur oder sein Vater mit der Naturbutter". Der Vater, Besitzer einer Margarine-Fabrik, rettet den Sohn vor dem finanziellen Desaster, doch der Verein löst sich im März 1909 auf. Und Feuchtwanger ärgert sich im Tagebuch über die Oberflächlichkeit des Münchner Publikums, das vom Phöbus nicht Geist und Stil, sondern "Gaudi und Gemüatlichkeit" erwartet habe.

Mit Bayern hatte er öfter seine Probleme. Das zeigt auch der Streit um die Oberammergauer Passion, den er sich 1910 mit dem Schriftsteller Georg Queri lieferte. Diese Auseinandersetzung beleuchtete Michael Stephan, Leiter des Münchner Stadtarchivs. Queri, Journalist, Volkskundler, damals Lokalreporter und Mitarbeiter der Jugend, befasste sich seit 1909 mit den Urformen des Passionsspiels. Für die Münchner Neuesten Nachrichten schrieb er im Passionsjahr 1910 eine regelmäßige Kolumne mit dem Titel "Aus dem Passionsdorf". Schon damals ein touristisches Großereignis, das in diesem Jahr 223 000 Besucher anzog. Feuchtwanger machte sich darüber schon vor der Premiere im Mai in der Wochenschrift Schaubühne seine Gedanken. Eigentlich missfiel ihm alles. Die Textfassung fand er fürchterlich - "man bekommt Kopfschmerzen über dieser Prosa". Die Bewohner Oberammergaus, "eines der reizlosesten Dörfer des bayerischen Hochlandes", erschienen ihm "dumpf und schläfrig, hinterhältig und profitgierig, geneigt zum Raufen, zum Wildern und zum Trinken". Da nur Eingeborene an den Passionsspielen teilnehmen dürfen, herrsche dort "eine traurige Inzucht". Die Anziehungskraft der Spiele erklärt sich der junge Kritiker mit der Geschäftstüchtigkeit der Bewohner, die es gut verstünden, die übersinnlichen Werte der Passion ins Materielle zu übersetzen.

Verständlich, dass der Rundumschlag heftige Kritik hervorrief. Er brauche ja nichts mehr über die Passion schreiben, da sie bereits ad acta gelegt worden sei, reagierte Queri in seiner Kolumne am 27. April. "Erledigt, vernichtet, deglorifiziert durch Lion Feuchtwanger, Verfasser zweier Schnadahüpfl-freier Einakter und Arrangeur des berühmt gewordenen Münchner Phoebusball-Festes." Er riet dem "Jung-Phöbus" eine neue große Passionstragödie zu schreiben. Sein Anhang werde Jubelpsalmen zu singen haben.

Feuchtwanger antwortet "dem Retter Oberammergaus" in der Schaubühne. Wahrscheinlich habe Queri früher mehr vom Phoebus gehalten, sonst hätte er nicht eine Komödie eingereicht, die sich leider zur Aufführung nicht eigne, schreibt er. "Charakteristisch aber ist es, dass selbst in München für die Passionsspiele kein anderer eintritt als ein Lokalreporter, der ... über ästhetische Fragen mit den Sprüchen eines Haberfeldtreibers debattiert."

Feuchtwanger fuhr im Mai auch noch zur Premiere der Passion, "Inbrunst im Herzen". Aber das nutzte nichts, er fand das Spiel reizlos, was ihn nicht daran hinderte, Oberammergau nur wenig verfremdet Jahre später in seinen Roman "Erfolg" einzubauen. Dieses Schlüsselwerk, 1930 erschienen, analysierte wenig später Franziska Wolf. Sie interpretierte das Bayernbild Feuchtwangers psychoanalytisch, während sich Adrian Feuchtwanger mit dem Antisemitismus der "wahrhaft Deutschen" auseinandersetzte. Drei Referenten beschäftigten sich mit "Thomas Wendt" (1920), dem "dramatischen Roman". Inspiriert dazu wurde Feuchtwanger durch die Novemberrevolution, deren Führer Schriftsteller und Intellektuelle waren. Sein Leben als Regisseur, Schriftsteller und Frauenheld habe er aber fortgeführt, eher nebenher die dramatischen Ereignisse registriert, sagte Klaus-Peter Möller. In den Tagebüchern erscheinen sie oft in sehr marginaler Form. So notierte er am 8. November "Revolution. Vorläufig für uns ziemlich belanglos." Er beobachtete nicht nur, sondern beteiligte sich an der konstituierenden Sitzung eines Rats der geistigen Arbeiter. Die Rede Eisners bei der Konstitutionsfeier fand er "eindrucksvoll". Immerhin.

© SZ vom 22.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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