Literatur:Die Seelen der Dinge

Maro Verlag

Stapelweise Literatur: Benno Käsmayr und seine Tochter Sarah mit den gerade eingetroffenen Exemplaren des Romanes von John Fante.

(Foto: Christian Jooss-Bernau)

Der Augsburger Maro-Verlag macht aufwendig gestaltete Bücher, weil der Welt sonst etwas fehlen würde - und erhält dafür nun den Bayerischen Kleinverlagspreis

Von Christian Jooß-Bernau

Nebenan im Augsburger Industriegebiet verkaufen sie Oldtimer und US-Schlitten. Zum Maro-Verlag geht es Betonstufen hoch durch eine gelbe Stahltür. Zweiter Stock, links. Die Mittagssuppe steht schon auf dem Herd: Kürbis, Kartoffel, Karotte, gewürzt mit Garam Masala und Kreuzkümmel. Gekocht hat Sarah Käsmayr, die vom Computer aufsteht, als man durch die Tür tritt. Sie ist 30 Jahre alt, die Tochter des Chefs Benno Käsmayr und aktuell im Wesentlichen eine Hälfte des Unternehmens. Am Montag, 27. November, wird Maro im Literaturhaus mit dem auf 7500 Euro dotierten Kleinverlagspreis ausgezeichnet, den das Bayerische Kultusministerium zum neunten Mal vergibt.

Es war 1968, in einer Frankfurter Kneipe beim Pils. Die Abiturienten Benno Käsmayr und sein Freund Franz Bermeitinger kamen gerade von der Buchmesse. In der Mensa der Universität hatten sie eine Ausstellung von Kleinverlagen besucht. Das, was sie da gesehen hatten, das könnten sie auch, fanden sie. Franz schrieb Gedichte und zeichnete sie mit Maro, zusammengesetzt aus den Vornamen zweier Brieffreundinnen aus dem Internat. Da war er, der Name für den Verlag. "Keine Sau weiß, was das ist, und es klingt gut", fanden sie. Benno Käsmayer hat graue Haare, lachende Augen und das rollende R der Augsburger. Käsmayr ist einer, der sein Ding macht, aber das nie so sagen würde, weil er schon lange nicht mehr in der Verlegenheit war, das Ding der anderen machen zu müssen.

Das erste große Maro-Ding war Charles Bukowski. 1974 erschien der Band "Gedichte, die einer schrieb, bevor er im 8. Stockwerk aus dem Fenster sprang", übersetzt von Carl Weissner. Das Ganze war eher ein Zufallsprojekt. Weissner hatte schon versucht, die Gedichte anderen Verlagen anzubieten, die waren sich dafür allerdings zu fein. Ein "ganz lieber Mensch" sei Bukowski gewesen, sagt Käsmayr, der ihn auch einmal in Amerika besuchte und einen erlebte, der morgens seine Vitamintabletten und Fruchtsäfte zu sich nahm und das Signieren hasste: "Bukowski hat streckenweise unter dem Autorenkäs' gelitten." Nach fünf Monaten hatten sie vom Gedichtband nur 200 Stück verkauft. Käsmayr zweifelte an seiner Verlagsidee. Dann kam die Buchmesse und die Sache ins Rollen. Der Bukowski-Band "Schlechte Verlierer" erschien 1977 in einer Startauflage von 25 000. Sarah Käsmayr lacht. Es sind andere Zeiten, heute. Heute, da haben sie neben der Literatur auch Sachbücher im Programm. Bände über das Filzen und Färben, beispielsweise. Ein "Handarbeitsmultitalent" sei die Mutter, sagt Sarah. Es sind Bücher für eine kleine Zielgruppe, aber sie bringen Umsatz.

Um den müssen sie bei Maro kämpfen. Gerade hat die VG-Wort, die Verwertungsgesellschaft der Schreibenden, von Verlagen eine Tantiemenrückzahlung verlangt. Alle Maro-Autoren, die das konnten, weil sie bei der VG-Wort gemeldet waren und nicht als Lizenz bei Maro verlegt werden, haben aus Solidarität verzichtet. 15 Prozent waren das. Für den Rest musste Maro zahlen. Es sind auch Zeiten des E-Books. Und damit kommt man Benno Käsmayr gerade recht. Im Rahmen seines grundentspannten Wesens wird er fast ein wenig hitzig. Die Worte "Mode" und "Hype" fallen. Hier machen sie Bücher, keine Dateien. Hier haben die Dinge eine Seele, wie der "treue Knopf", den Käsmayr im Nebenraum zeigt. Auf dem zwanzig Jahre alten Computer lagern in alten Pagemaker-Dateien noch Bücher, die man bei Bedarf ausdrucken kann.

Maro war von Anfang an durchdrungen vom Sponti-Geist der späten Sechziger und Siebziger. Die erste, naja, Veröffentlichung: "Das große Scheißbuch". Zusammengeschnittene Prospekte, kombiniert mit Parodien deutscher Dichter-Klassiker. Käsmayr muss da heute noch mit vollem Mund lachen. Ein paar haben das tatsächlich für fünf Mark gekauft. Nur einer schickte das Buch zurück, das sei ja totale Scheiße. Immerhin - der Erlös war das Startkapital für die erste Nummer der Zeitschrift Und, ebenfalls so ein Sponti-Ding. Und dann kam Tiny Strickers Buch "Trip Generation", im Original 1971 noch mit Spiritus-Matrizen vervielfältigt. Stricker brachte von einer wilden Reise einen Haufen handschriftliche Notizen mit. Und Fundstücke: Prospekte, Rechnungen. Käsmayr wurschtelte sich durch. Chronologie war Nebensache. Heute haben sie es redigiert und neu aufgelegt: "Ich bin nicht abergläubisch", sagt Käsmayr, "aber das ist das erste Buch, wo es mit dem Verlag losgegangen ist. Das ist das erste Teil - das darf eigentlich nie ausgehen."

Im Hintergrund arbeitet gerade ein Digitaldrucker und schichtet die Blätter von Rudolf Diesels Buch "Solidarismus". Um die Jahrhundertwende dachte der Ingenieur nach über die Verbindung von Kapital und sozialen Rahmenbedingungen. Nur wenige Exemplare in Frakturschrift waren in Bibliotheken noch erhalten. Sarah setzte das Buch 2007 neu. Was der Kopierer da gerade macht, ist ein praktisches Beispiel für die Verlagsphilosophie, so viele Bücher wie möglich lieferbar zu halten. Warum machen das nicht alle? Das hat etwas mit dem externen Vertrieb zu tun: "Je mehr Titel lieferbar sind, desto teurer sind die Basiskosten." Maro kann sich das nur aus einem Grund leisten: Der Vertrieb ist hier immer noch Benno Käsmayr.

Die Blätter des Diesel-Buches müssen noch in die Schneidemaschine. Das betagte Ungetüm mit dem einen Lager, das schon etwas locker ist. Und in die Bindemaschine. Bei Maro arbeiten sie mit Kaltleim. Die Biegsamkeit der Buchrücken sei da einfach besser. Dafür müssen die Bücher eben ein wenig trocknen. Kaltleim ist mittlerweile schwer zu bekommen. Unter der Maschine steht ein Vorrat. Der reicht bis Ende nächsten Jahres, sagt Käsmayr.

Die Presseexemplare für Elliot Pauls "Frühlingstage in Paris", ein reizend detailfreudiger Blick auf ein Nachkriegs-Paris, haben sie hier selbst produziert. Im Raum steht auch eine Palette mit John Fantes "Westlich von Rom", ebenfalls aus dem aktuellen Verlagsprogramm und ebenfalls ein wiederentdeckter Amerikaner. Den Fante haben sie aushäusig drucken lassen. Die Offset-Maschinen sind schon eine Weile weg. Die Entwicklung der Drucktechnik hatte sie unrentabel werden lassen.

Aus der Ecke zieht Benno Käsmayr eine Schachtel mit Karten: Offset-Lithografiedruck. Unikate. Material für eine Ausstellung, sollte irgendwer einmal Interesse haben. Es sind die Ergebnisse von Workshops, die sie früher am Buß- und Bettag für die Grafiker der Tollen Hefte machten. Die Hefte waren bibliophile Schmuckstücke, ab 1991 bei Maro herausgegeben von Armin Abmeier. Dessen Ehefrau, Rotraut Susanne Berner, betreut die Hefte, die mittlerweile bei der Büchergilde Gutenberg erscheinen, seit Abmeiers Tod. Berner hat auch die Cover vieler Maro-Bücher gestaltet. Charles Bukowski wird heute in Berner-Arbeiten gehüllt. Käsmayr plaudert über Offset-Druck wie andere über die guten, alten Zeiten. Einfarbenmaschinen hatten sie. Für jeden Drucklauf musste das gesamte Walzensystem gereinigt werden. Der Wechsel von Schwarz auf Gelb konnte schon einen halben Tag dauern. Ein bisschen ungesund war es auch. Das Reinigungsmittel der ersten Jahre ist heute verboten. Aber ästhetisch, da konnte man abweichen von den vier genormten Druckfarben, aus denen sich heute der größte Teil des Produzierten zusammensetzt.

Früher ging der Verlag über die ganze Etage. Ein Teil ist mittlerweile untervermietet. Eigentlich wollten sie nach nebenan ziehen. Für den Transport durch die Tür hätte die Schneidemaschine zerlegt werden müssen. Das wäre in die Tausende gegangen. Käsmayers Entscheidung: "Die lassen wir jetzt stehen und machen halt das Büro neben die Schneidemaschine."

"Maro funktioniert mit den Maschinen, die hier stehen, und mit dem Wissen, das hier sitzt", sagt Sarah und zeigt auf den Papa. Angeberei zählt nicht zu ihren Stärken. Und so unterschlägt die Grafikdesignerin, was sie leistet - im Wesentlichen ehrenamtlich. Ihr jüngstes Herzensprojekt war der Band "Kleine Satelliten", bei dem Lydia Dahers Gedichte und die zarten Bleistiftzeichnungen von Warren Craghead III eine solche Symbiose eingehen, dass man das eine nicht mehr ohne das andere denken kann. Ausgezeichnet wurde das Ergebnis in diesem Jahr mit dem Förderpreis für junge Buchgestaltung. Schon das Öffnen des Bandes ist ein Erlebnis. Den Umschlag, der dieses Buch umgibt wie ein Schmuckkästchen, haben sie selbst entwickelt. Der Ladenpreis steht in keinem Verhältnis zum Aufwand der Produktion. Bei Maro machen sie solche Bücher, weil der Welt sonst etwas fehlen würde. Über den Absatz denken sie da nicht nach. Fünfmal muss jeder Umschlag der "Kleinen Satelliten" an der Maro-Maschine genutet werden. Weil keiner das so präzise kann wie der Chef Benno Käsmayr, macht er es eben selbst.

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