Literatur: Die Herrenausstatterin:Sie sind unter uns

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Wenn ein Schutzengel nicht ausreicht, wieso dann nicht eine gespenstisch komische Dreiecksgeschichte anfangen? Mariana Lekys Roman "Die Herrenausstatterin" ist federleicht und rührend.

Kristina Maidt-Zinke

Lange wussten wir über Tote nicht viel mehr, als dass sie keine Karos tragen. Zwar tauchten in der Literatur, namentlich der phantastischen, der magisch-realistischen und der esoterischen, immer wieder einmal Botschaften oder Erscheinungen aus dem Jenseits auf, aber das Verständnis der sichtbaren für die unsichtbare Welt vermochten sie kaum zu fördern. In jüngster Zeit haben Autoren wie Cees Nooteboom oder Sibylle Lewitscharoff den Verstorbenen literarische Auftritte der etwas anderen Art verschafft: Ungezwungen bewegen sich diese Figuren im Alltag ihrer lebenden Mit- und Gegenspieler, reden mit ihnen auf Augenhöhe und geben wie beiläufig erhellende Auskünfte über das Reich der Schatten, das sich ja, wenn man alten Lehren glauben darf, ohnehin mitten unter uns befindet.

In Marianna Lekys Buch "Die Herrenausstatterin" sind Schutzengel höchst selbstbewusste Feuerwehrmänner, Karatefilmgucker und Kleptomanen. Hier sieht man Thomas Bo Larsen als etwas klassischeren Beschützer in  dem Film "Miracle - Ein Engel für Dennis P." (Foto: dpa)

Die vermummten Herren

Einen weiteren Schritt auf dem Weg zum entspannten Umgang zwischen Hüben und Drüben vollzieht jetzt die 1973 geborene Mariana Leky, die vor einigen Jahren mit einem Debütroman ("Erste Hilfe") von stilsicherer Leichtigkeit auffiel. Ihrem neuen Werk "Die Herrenausstatterin" hat sie als Motto einen Satz des "vermummten Herrn" aus Wedekinds "Frühlings Erwachen" vorangestellt, was dem Titel einen listigen Hintersinn verleiht.

Und der im Roman herumgeisternde Tote ruft zwei Gestalten aus der Finalszene des Dramas in Erinnerung - einerseits den kopflosen Wiedergänger Moritz mit seiner abgeklärt-erhabenen Sicht auf das irdische Treiben, andererseits den namenlosen Vermummten mit seinem resoluten Plädoyer für die Hingabe an das Leben. Ausgestattet hat Leky diesen freundlichen älteren Herrn mit schwarzem Anzug und weißem Hemd, schwarzen Schuhen und schwarzer Krawatte, ovalen Brillengläsern und dem Nachnamen Blank, der "leer" oder "Leerstelle" bedeutet und demnach als zeitgemäße Variante von "Anonymus" durchgehen kann.

Professionell für Herrenoberbekleidung zuständig ist Blanks Witwe, eine überaus lebensfrohe Dame, deren Unfähigkeit zu trauern den Dahingeschiedenen nicht zur Ruhe kommen lässt. Um sie noch ein wenig observieren zu können, übernimmt er eine Art Schutzengelposten bei seiner ehemaligen Nachbarin, der gleichfalls frisch verwitweten, aber viel jüngeren und unglücklicheren Katja.

Ein Schutzengel ist nicht genug

Ihr, der Ich-Heldin, hat nicht nur das jähe Ableben des Gatten einen harten Schlag versetzt, sondern auch die Entdeckung, dass er sie zuvor schon eine ganze Weile hinterging - die übliche Geschichte, hier bemerkenswert lakonisch und skurril erzählt. Zu allem Überfluss verliert sie ihren Job als Übersetzerin von Gebrauchstexten, und da bei so viel Elend ein Schutzengel nicht genügt, muss ein zweiter in Aktion treten, ein etwas zwielichtiger, aber quicklebendiger und höchst selbstbewusster Feuerwehrmann, Karatefilmgucker und Kleptomane namens Armin, der sich mit entwaffnender Dreistigkeit in Katjas Leben einnistet.

Jeder der beiden Kavaliere trägt auf seine Weise dazu bei, die Entwurzelte vor depressiver Verwahrlosung zu retten. Armin tut ein Übriges, indem er Katja ungebeten schwängert, was Blank wiederum die Arbeit an ihrer moralischen Aufrichtung erschwert, weil von Liebe zwischen den beiden jungen Leuten nicht eigentlich die Rede sein kann. Viel tiefer ist die Zuneigung zwischen Katja und dem alten Herrn, aber dessen Nachspieltage auf Erden sind gezählt: Immer größer werden die Löcher, beziehungsweise Leerstellen, die in seiner physischen Erscheinung klaffen, und lassen sie sich auch anfangs noch mit Pflaster zukleben, kündigen sie doch unerbittlich sein endgültiges Verschwinden an.

Verblüffend weise

Die kuriose Dreierkonstellation, die einen Extrareiz daraus bezieht, dass Blank für alle außer seiner Schutzbefohlenen unsichtbar bleibt, funktioniert immerhin lange genug, um Katja wieder zukunftstauglich zu machen. Im Trio reist man an Hollands Nordseeküste, wo Armin einem leibhaftigen Karatefilmstar begegnet und sinnfreie Diebstähle in Ferienbungalows begeht. In der Pension "Zum fröhlichen Hirten" hängt neben der Eingangstür ein großer Spiegel, über dem geschrieben steht: "Hier siehst du den Menschen, der für dein Leben verantwortlich ist."

Ob die Autorin es nun beabsichtigt hat oder nicht - an diese Perle holländischen Humors wird der Leser künftig morgens im Badezimmer denken müssen. Es könnte ihm auch der eine oder andere Gedanke von der Zwanzig- Punkte-Liste, die Blank bei seinem Abgang für Katja hinterlässt, hartnäckig im Kopf herumgehen. Zum Beispiel: "Ich vermute, dass der Schrecken des Todes eine Einflüsterung des Lebens ist. Schlimm ist nicht, dass der Tod am einen Ende zieht, sondern dass das Leben am anderen nicht loslässt (dafür schätzen wir es ja auch)."

Die kleine Geschichte, die Mariana Leky sich ausgedacht hat, ist komisch und traurig, gespenstisch und menschlich, grotesk und rührend, vor allem aber verblüffend weise. Sie kommt in einer Sprache daher, die weder originell sein will noch in Geschwätz ausartet, die nicht um Pointen ringt, sondern sie scheinbar absichtslos findet, die schlichte Sätze baut und sie wie Bretterstege über lebensphilosophische Abgründe legt. Es geschieht wahrlich selten, dass ein so federleichtes, unprätentiöses Buch einen mit der Frage zurücklässt: "Tod, wo ist dein Stachel?" Am Ende hält man sogar für möglich, was Herr Blank mit seinem geisterhaften Durchblick als Punkt zehn auf der Liste vermerkt - dass Karatefilme besser seien als ihr Ruf.

MARIANA LEKY: Die Herrenausstatterin. Roman. DuMont Buchverlag, Köln 2010. 208 Seiten, 18,95 Euro.

© SZ vom 23.06.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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