Beide, die Übersetzerin Anita Raja und der Autor Domenico Starnone, kennen die Spielregeln der Literatur. Womöglich war die Verwendung eines Pseudonyms für sie zunächst eher ein Spiel. Für Anita Raja: eine Möglichkeit, in einem geschützten Raum neben ihrer Übersetzertätigkeit die Rolle einer literarischen Autorin zu erproben und zu entfalten. Und für ihren Mann mag es ein Reiz gewesen sein, einmal unter weiblichem Namen zu schreiben. Vielleicht hat Anita Raja die Geschichte geschrieben, vielleicht stammt die Dramaturgie von Starnone. Vielleicht ist sie allein die Urheberin.
Das Schreiben in einer eingeschworenen Gemeinschaft passt auch zu Sandro Ferri und Sandra Ozzola, die in einer kleinen Wohnung in der Via Camozzi nahe beim Vatikan ihren Verlag e/o betreiben. Mit ihrem Verlag, den sie 1979 in ihrem Wohnzimmer gründeten, wollten sie den Blick auf die Länder jenseits des Eisernen Vorhangs richten und boten ein Programm mit osteuropäischen Autoren. Ozzola ist Slawistin, und zum ersten Mal erschienen in ihrem Verlag Schriftsteller wie Bohumil Hrabal und Kazimierz Brandys auf Italienisch. Dass Christa Wolf und Christoph Hein ins Spiel kamen und ihre Bücher nach dem Mauerfall noch an Gewicht gewannen, lag nahe. Sandro Ferri hielt unter seinen Freunden nach einer Übersetzerin Ausschau, und so begann Anita Raja mit ihrer Arbeit. In einer Erklärung des Verlages deutet er die Enthüllung des Pseudonyms als Versuch der Abwertung: Statt die Bücher von Elena Ferrante als Werke ernst zu nehmen, gehe es nur um die Person.
In einem Interview für den Paris Review befragten er und seine Frau Elena Ferrante. Es gibt sogar eine Schriftprobe. Wieder ein Spiel mit Realität und Fiktion, wieder ein Spiel mit Rollen, wie in der Romanserie. Wer sich mit doppelten Böden, der Inszenierung der Schriftstellerfigur und Fiktionalisierung von Wirklichkeit beschäftigen will, wird hier viel Material finden. Gerade darin zeigt sich das Vermögen der Autorin.
Nicht nur in Italien hat Gattis Text zu Protesten geführt
Die Verwendung von Pseudonymen hat eine lange Tradition in der europäischen Literatur. An der Enttarnung Elena Ferrantes berührt unangenehm der Gestus, hier werde eine illegitime Irreführung des Publikums aufgedeckt. Nicht nur in Italien hat Gattis Text zu Protesten geführt, unter jenem Teil des Publikums, der sich das lieb gewordene Pseudonym als Projektionsfläche nicht nehmen lassen mag, aber es sind auch viele Leser dabei, die das Recht, sich ein Pseudonym zu wählen, gegen den Verdacht verteidigen, es könne dafür kein anderes Motiv geben als ein ökonomisches.
Der Ton der Enthüllungsreportage passt zu Sarratone, der Figur in Ferrantes Roman. Es ist der Ton des Sensationsjournalismus. Auf Literatur wirkt er zerstörerisch.