Literatur:Diagnose Linkslesestärke

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Die "Isarautoren" Anja Janotta, Annette Roeder, Heike Nieder, Christine Paxmann, Meike Haas, Katja Samt (hinten von links) sowie Ulrieke Ruwisch, Sabine Bohlmann, Janet Clark und Charlotte Habersack (vorne von links). (Foto: Alessandra Schellnegger)

Auf der Bücherschau Junior stellt sich der neue Zusammenschluss der "Isarautoren" vor. In einem Werkstattgespräch diskutieren acht Autorinnen mit ihrem Publikum über abgelehnte Texte

Von Barbara Hordych

Der erste Beitrag beim Werkstattgespräch der "Isarautoren" auf der Bücherschau Junior ist zugleich eine Ausnahme von der selbst auferlegten Regel: Acht Kinderbuchautorinnen stellen sich im Stadtmuseum mit Texten vor, "die von Lektoren oder Verlagen abgelehnt wurden", erklärt Anja Janotta den größtenteils jungen Zuhörern. Wohlgemerkt, es sind keine unerfahrenen Autorinnen, die hier auf dem Podium sitzen, sondern Vertreterinnen ihrer Zunft mit zahlreichen Veröffentlichungen: Neben Janotta sind das Sabine Bohlmann, Janet Clark, Meike Haas, Christine Paxmann, Ulrieke Ruwisch, Katja Samt und Charlotte Habersack.

Maximal drei Seiten wollen sie jeweils vorlesen, um danach mit ihrem Publikum die Gründe für die Ablehnung zu diskutieren. Insbesondere in den rund 20 Schülerreportern von der Grundschule an der Stuntzstraße treffen sie auf kompetente Gesprächspartner. "Tolle Fragen", stellt Christine Paxmann zwischendurch einmal anerkennend fest, "die, die ihr uns spontan stellt, sind sogar noch besser als die, die ihr in der Schule vorbereitet habt".

Den Auftakt macht Janet Clark mit einem bereits gedruckten autobiografischen Essay, "da es keinen Text von mir gibt, der noch nicht veröffentlicht wurde", rechtfertigt sie sich. Ihr Essay beschreibt in durchaus komischer Verzweiflung ihre häusliche Arbeitssituation: Um 10 Uhr klingelt das Telefon - der tägliche Anruf ihrer Schwiegermutter mit Erzählungen aus einem Dorf, in dem Clark nur eine Person bekannt ist - nämlich die Anruferin. Warum ruft sie eigentlich immer nur sie und nicht ihren Sohn an? "Weil der im Büro arbeitet, während ich nur ,zuhause' bin", sagt Clark. So reiht sich Unterbrechung an Unterbrechung, während sie mehrmals vergeblich ansetzt, eine Begegnung ihrer Heldin mit dem Mörder zu schildern. Da sind der Paketbote, der weiß, dass Clark "immer zuhause" ist und die Nachbarn, die wiederum klingeln, um ihre Lieferung abzuholen. Dazu kommen Handwerker oder Freundinnen vorbei, die sie zum Sport animieren wollen - "ich habe ja Zeit". Dass am Ende dieses Reigens die Autorin ihre Heldin voller Wut erwürgen lässt, stellt sie vor ein weiteres Problem: "Auf Seite 193 stand ich ohne Heldin da", resümiert Clark zum Vergnügen ihrer laut kichernden Zuhörer.

Zudem ist es ein recht aufschlussreicher Text über die Arbeitssituation von Autorinnen. Fast alle von ihnen entwickelten ihre Geschichten übrigens mit und für ihre Kinder, erzählen sie. So entstand die Idee zu Janottas Buchdebüt "Linkslesestärke", als eines ihrer beiden Kinder die Diagnose "Rechtschreibschwäche" erhielt. Janotta war es auch, die gemeinsam mit Meike Haas auf die Idee kam, einen losen Zusammenschluss von Autoren an der Isar zu gründen. "Spreeautoren und Elbautoren gibt es bereits als sehr effektiv arbeitende Vorbilder, nur wir hier in Bayern hinken bislang hinterher", erklärt Haas.

Man fragte im eigenen Kreis nach, manche kannten sich bereits, wie etwa Janet Clark und Charlotte Habersack, die schon zu Schulzeiten nebeneinander saßen. Inzwischen gehören rund 20 Autorinnen und zwei Autoren dem Bund an, der sich auch Aktionen wie die Umfunktionierung des Buß- und Bettages zum "Buch- und Lesetag" vorgenommen hat. Überhaupt wolle man sichtbarer werden, Lesern und Veranstaltern bewusst machen, welche Autoren es in der unmittelbaren Umgebung gibt. "Kurioserweise werden 90 Prozent meiner Lesungen außerhalb von Bayern gebucht, das ist doch sehr schade", sagt Clark.

Etwa genauso viel in Bayern wie deutschlandweit unterwegs ist Sabine Bohlmann, die auf Nachfrage berichtet, bereits 50 Bücher geschrieben zu haben. Noch mehr beeindruckt sind ihre jungen Zuhörer, als sie erfahren, dass sie die deutsche Synchronstimme von Lisa aus der berühmten TV-Serie "Simpsons" ist. Jetzt trägt sie aus einer Auftragsarbeit für einen Verlag vor, in der sich "fremde Welten" am Beispiel einer modernen Patchworkfamilie begegnen sollten.

Fremd erscheinen der neunjährigen Fanny, die bislang mit ihrem Vater alleine lebte, die beiden Kinder seiner neuen Lebensgefährtin, einer Japanerin. Trotzig nennt sie die Geschwister nur "Ping" und "Pong". "Gemütlichkeit ist nicht zu teilen", sagt Fanny, und schon gar nicht mit ihren Halbgeschwistern. Eine Begegnung mit der schluchzenden "Ping" auf dem Dachboden bringt die Wendung: Denn Weinen, wie später auch Kichern, klingen in beiden Sprachen gleich. Und Spitznamen kennen andere Kulturen auch - sie selbst heiße bei ihnen "Pommes", erfährt sie von Ping.

Als zu "fremdenfeindlich" habe der Verlag das fertige Buch dann empfunden. Ob sie das nachvollziehen könnten, fragt Bohlmann in die Runde. Die Kinder sind erstaunt. "Die Figuren sind doch alle gleich gemein zueinander", gibt ein Junge zu bedenken. Bohlmann selbst hatte die Absage seinerzeit geschmerzt, "vor allem, weil ich zwei japanische Freundinnen habe und mit ihrer Hilfe sehr gut die japanische Lebensweise hätte recherchieren können".

Mit dem Verdacht der Fremdenfeindlichkeit hatte auch Charlotte Habersack zu kämpfen. Sie skizziert eine Szene, in der das türkische Mädchen Suvi mit ihrer Familie den Nachmittag am See verbringt. Suvi bittet ihren Vater, den Baba, Schwimmen lernen zu dürfen. Doch der, genauso wie ihr älterer Bruder Faruk, lehnt mit der Begründung ab, dass sie doch nicht die Blicke der Männer auf sich ziehen wolle, wenn sie halb nackt ins Wasser steige.

Im weiteren Verlauf freunde sich Suvi mit dem deutschen Nachbarsmädchen Lila an, erzählt Habersack. "Lila hat das gegenteilige Problem, ihre Mutter will, dass sie ganz viele Sportarten ausprobiert und drängt sie von einer Disziplin zur nächsten", Irgendwann kämen die Mädchen auf die Idee, die Rollen zu tauschen. Doch der Verlag beendete das Experiment. Als "zu heikel" befand er ihr Vorhaben, als deutsche Autorin aus der Perspektive eines türkischen Mädchens zu schreiben, erklärt Habersack. Dabei sei der Schwimmunterricht als alltägliches Problem für türkische Mädchen doch hinlänglich bekannt.

Nicken in der Zuhörerrunde. "Ich finde, die türkische Familie ist doch sehr nett zueinander", gibt eine Zuhörerin zu bedenken. "Ja, mir war es wichtig, die Familie positiv zu zeigen, auch wenn sie eine andere Vorstellung davon hat, was sich für ein Mädchen gehört", sagt Habersack.

Aber auch aus anderen Gründen könne ein Text abgelehnt werden, erklärt Katja Samt, die letzte der vortragenden Autorinnen. Sie schildert ihre auf drei Bände konzipierte Buchreihe über eine Försterfamilie mit vier Kindern, den "Brausewetters". Sie erleben ihre Abenteuer draußen im Wald, zwischen magischen Eiben-Bäumen. "Zu viel Holz" und "zu viel Natur" habe es in der Verkaufsabteilung geheißen, erklärt Samt. Denkt man an die aktuellen Klimaschutz-Proteste von Schülern weltweit, gibt es für dieses Sujet vielleicht doch noch Hoffnung. Zumindest haben die Isarautoren gute Aussichten: Vier Neuzugänge hätten sich im Anschluss an die Veranstaltung bei ihr gemeldet, sagt Janotta erfreut.

© SZ vom 19.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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