Literatur:Der i-Punkt auf dem Ö

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Klein und unkonventionell: Der Schrägverlag aus Windach liebt Dada

Von Bernhard Blöchl, Windach

Wer Dada mag, muss gaga sein. Oder anders formuliert: "Wer Dadaismus nicht versteht, wie man Dadaismus nicht verstehen darf, der wird seine große Freude haben." Carsten Lohse sagt das, wenn er über seinen Verlag spricht, und wie schon der Name erahnen lässt, ist der Schrägverlag kein normaler Verlag. Der Schrägverlag ist der Klassenclown in der Schule der Büchermacher, der Silbensee im Fünfseenland, der i-Punkt auf dem Ö.

Der publizistische Wahnsinn beginnt schon damit, dass die Kartons mit den lieferbaren Büchern in Lohses WG-Zimmer in Windach herumstehen und hört mit dem Wunsch, auf Bauernhöfen Lesepartys zu feiern, noch lange nicht auf. Der Verlag ist so wenig normal, dass ein Wikipedia-Eintrag gelöscht wurde und den veröffentlichten Werken ISBN-Nummern fehlen. Dafür werden Lesezeichen beigelegt, auf denen "Allgemeine Lesebestimmungen (ALB)" notiert sind, die da etwa lauten: "Dieses Buch darf weltweit gelesen werden (inklusive Schweiz und Norwegen)." Oder: "Ein Vorblätterverbot besteht ausdrücklich nicht." Die regelmäßig neu produzierte "polnische Bauernzeitung" namens Rustika Traktor gibt's gratis dazu.

Nun gut, herumspinnen kann jeder, aber hat das Herumspinnen auch Substanz? Sechs Bücher sind seit der Gründung im Oktober 2015 erschienen, und der Blick auf die Titel bereitet durchaus Vergnügen: "Wo der Stockzirkel bollt" von Oliver Jung-Kostick, "Mein Leben, so wie Jean Paul es aufgeschrieben hätte, wenn es seins gewesen wäre" von Dieter Paul Rudolph oder "Flüsterkuss" von Lisa Weichart. Schelmische Geschichten sind das, ganz viel Lyrik, noch mehr Tollerei. "Wir wollen Künstler unterstützen, die sonst keine Verlage finden", sagt Lohse. Und mit Bernhard Rusch ist auch ein namhafter Dada-Bewahrer im Programm ("August Fünfzehn").

Das jüngste Buch stammt von Guido Rohm. Der Satiriker aus Fulda und Eulenspiegel-Mitarbeiter ist ein unermüdlicher Wortsportler und Schelm des Absurden (übrigens auch auf Facebook). Sein Titel im Schrägverlag heißt "An und Pfirsich" und verspricht "Texte für alle 117 Tage des Jahres". Die darin enthaltenen Miniaturen bestehen aus aberwitzigen Dialogfetzen. Der kürzeste heißt "Beim Superspeed-Dating" und geht so: "Ich ... / Nein, Sie sind es nicht." Zeilen wie diese sind im besten Sinne verrückt, weil sie den Alltagsblick verrücken. Das wiederum schärft die Sinne.

Mit Qualitätsquatsch wird man nicht reich. Das wissen Lohse und sein Geschäftspartner. Gemeinsam mit Stephan Sprang führt er die eigens gegründete GbR. Die beiden Schulfreunde aus Sachsen sind zwar Dadaisten, aber auch Realisten. Verkaufszahlen wollen sie nicht nennen, aber bei Erstauflagen von 200 Stück kann sich jeder selbst ausrechnen, dass dabei nicht viel herumkommt. Den Nettogewinn teilt der Verlag 50 zu 50 mit den Autoren. "Was das Finanzamt betrifft, ist es so, dass wir mindestens einen Euro Gewinn machen müssen", erklärt Carsten Lohse und schiebt hinterher: "Und da sind wir auf einem guten Weg." Der Verlag sei für ihn "Hobby", sagt der gelernte Versicherungskaufmann. Sowohl Lohse als auch Sprang haben konventionelle Jobs.

... und Carsten Lohse, vom Dada-Leben gezeichnet. (Foto: Ilustration: Bernhard Rusch alias Elwood)

Lohses Dada-Geschichte beginnt wie so viele Gaga-Geschichten in der Schulzeit. Geboren 1976 und aufgewachsen in Rochlitz in Mittelsachsen, entdeckt er im Deutschunterricht am Gymnasium den Dadaismus für sich. Er beginnt, Gedichte zu schreiben. Viele Jahre später, im Oktober 2014, beschließt er mit Stephan Sprang, einem diplomierten Medientechniker, seine Gedichte selbst herauszubringen - und gleich einen eigenen Verlag zu gründen. Die erste Publikation, sozusagen der Testballon, war ein "Nachschlagewerk für Dumm und Kalt", wie "Der große Uwsten" unterschrieben ist. Die Gedichtesammlung stammt von Uwe M. und Karabin Oljoschin. Eine Name wie ausgedacht. Er ist Lohses Pseudonym.

Der Schrägverlag ist ein Do-it-yourself-Projekt durch und durch. Autorensuche (Dadaisten sind willkommen), Satz, Layout - die Verleger kümmern sich um viele Schritte der Buchproduktion. Nur beim Lektorat und beim Druck greifen sie auf externe Hilfe zurück. Das Selbstbewusstsein der beiden ist groß. Eine ISBN-Nummer gebe es - neben dem Kostenfaktor - auch deshalb nicht, weil sie den Überblick behalten möchten. "Wir möchten unsere Bücher verkaufen, an wen wir wollen", sagt Lohse. Das bedeutet: Wer eines ihrer Werke haben möchte, ob Leser oder Händler, muss sich direkt an den Schrägverlag wenden. Online-Riesen und Grossisten haben das Nachsehen. Ihnen wird entgehen, was für 2017 und 2018 geplant ist: ein "Kochbuch ohne Rezepte" und eine "Weihnachts-Anthologie" an Ostern. Heiliger Bimbam!

© SZ vom 02.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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