Literatur:Der heilige Rasen

poetenfest 2018; Erlanger Poetenfest

"Das Poetenfest ist eine wunderbare Mischung aus Kompetenz und Laissez faire", analysierte Burkhard Spinnen, der 2019 erneut gastiert. Im Vorjahr genossen Lucy Fricke (li.) und Anne-Dore Krohn den Auftritt im Freien.

(Foto: Erich Malter)

Beim Erlanger Poetenfest begegnen sich Schriftsteller und Zuhörer im Schlossgarten. Nicht nur die entspannte Atmosphäre, auch die Kompetenz des Festivals wird in der Branche geschätzt

Von Olaf Przybilla

Burkhard Spinnen wird auch lesen beim 39. Poetenfest in Erlangen. Seinen neuen Roman "Rückwind" kann man schon deshalb empfehlen, weil er in diesem kühnen Spinnen-Ton geschrieben ist, der einen auch dann nicht loslässt, wenn womöglich mal arg viele gesellschaftliche Diskurse auf einmal verhandelt werden: Windkraft, Religion, Parteienpopulismus und allerlei mehr. Spinnen hat die Geschichte eines modernen Hiob aufgeschrieben. Schon der spielerisch verrätselte Titel seines Buches lässt erahnen, dass triviale Antworten nicht gegeben werden auf die Frage, warum sich das Schicksal gelegentlich einen Menschen auswählt und mit allen Mitteln, die dem Fatum nun mal zur Verfügung stehen, zu vernichten sucht. Spinnens tragischer Leidensmann, einst gefeierter Öko-Manager, hat tatsächlich alles verloren - keine schlechte Ausgangssituation für einen komplexen Roman.

In der Historie des Poetenfestes gibt es viele Autoren, die sich rühmend geäußert haben über dieses Lesefestival in einem fränkischen Park. Spinnen indes dürfte derjenige sein, der am häufigsten zitiert wurde. Er las dort bereits 1991, kurz nachdem "Dicker Mann im Meer" erschienen war. Und bei diesem ersten Mal - so hat es Spinnen später notiert - habe er bereits "die halbe deutsche Literaturszene" kennengelernt. Nicht nur das: "Ich las vor Hunderten von Leuten, die sich ohne alles Getue interessierten." Schöner hat die DNA dieses Festivals selten einer analysiert.

Anlass für die Notizen Spinnens war 2002 die existenzielle Bedrohung des Poetenfestes. "Warum Erlangen sein wichtiges Autoren-Festival nicht zu Tode sparen darf", war Spinnens Text überschrieben. Und wie das manchmal so ist - in der Krise wurde der Szene erst bewusst, was da gerade am Dahinscheiden war. Spinnens Manifest jedenfalls brachte Sätze zutage, die sich in die Geschichte dieses Literatenfestes eingeschrieben haben: "Das Poetenfest ist eine wunderbare Mischung aus Kompetenz und Laissez faire. Gut platziert zwischen Bachmann-Preis und Buchmesse, sortiert es die Namen und Titel des kommenden Bücherherbstes. Was sich später spitz besprochen und einrangiert in Bestenlisten findet, wird hier dankbar mit Applaus begrüßt. Das Poetenfest wird von belesenen und erfahrenen Leuten mit Sorgfalt inszeniert; doch der Geniestreich besteht darin, eine Atmosphäre entstehen zu lassen, die glauben macht, es gebe eigentlich nur Schreibende und Lesende und zwischen ihnen nur ein paar Meter Rasen."

17 Jahre nach diesem Text lebt dieses Festival. Und wer das 78-seitige Programmheft durchblättert, den beschleicht nicht der Verdacht, dass Spinnen an diesem Samstag im Schlossgarten zu einer weiteren Brandrede auf dessen Fortbestand wird ausholen müssen. Etwa sechs Dutzend Literaten und Kritiker haben sich von diesem Donnerstag an bis einschließlich Sonntag in Erlangen angemeldet. Apropos Bachmann-Preis: Wie es Tradition hat, wird nicht nur der Siegertext des diesjährigen Wettbewerbs vorgelesen. Die Siegerin, diesmal Birgit Birnbacher, darf anschließend auch etwas sagen zu ihrem Text.

Das ist ja gelegentlich das Problem beim Klagenfurter Contest: Man würde mitunter schon gerne wissen, was die Autoren ihren Kritikern coram publico erwidern wollen, zumal dann, wenn sie zuvor - anders als Birnbacher - mit großem Instrumentarium vor laufender Kamera attackiert wurden. Und auch da bietet das Poetenfest Gelegenheit. Der Autor, der heuer in Klagenfurt am heftigsten unter die Räder kam, wird in Erlangen zu Wort kommen. Martin Beyer stellt in der Orangerie seinen bei Ullstein erschienenen Roman "Und ich war da" vor. Teile des Textes hatten bei der Mehrheit der Klagenfurter Juroren geradezu Empörung ausgelöst. Der Roman nähert sich fiktional der historischen Henker-Figur Johann Reichhart. Im Roman wie im Bachmann-Text schildert Beyer dabei, wie die Geschwister Scholl von Reichharts Hand hingerichtet werden. Er habe diese Szene literarisch regelrecht ausgeschlachtet, wurde ihm in Klagenfurt vorgeworfen.

Auf großes Interesse dürfte auch die Lesung von Matthias Egersdörfer stoßen. Der Kabarettist gehört zum Stammpublikum, diesmal stellt er selbst ein Werk vor, seinen bei Rowohlt erschienenen Erstling "Vorstadtprinz", den skurril geratenen Roman einer Jugend. Außerdem treten auf: Karen Köhler, Gerhard Falkner, Ursula März, Christiane Neudecker, Jaroslav Rudis, Norbert Gstrein und David Wagner. Die literarischen Porträts sind Monika Maron, Ulrike Draesner und Bachtyar Ali gewidmet. Und unter dem Titel "Blicke" sind im Kunstverein Fotografien der langjährigen Poetenfest-Moderatorin und Literaturkritikerin Verena Auffermann zu sehen.

39. Erlanger Poetenfest, Do., 29. August, bis So., 1. September, www.poetenfest-erlangen.de

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