Literatur:Beschleunigte Teilchen

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Ein Kinderlyrisches Quartett im Lyrik Kabinett

Von Antje Weber, München

"Aus Eins mach' Zehn, und Zwei lass gehn, Und Drei mach' gleich, So bist Du reich" - so beginnt das Hexeneinmaleins in Goethes "Faust". Taugen ausgerechnet diese kruden Zeilen für ein Kinderbuch? Glaubt man dem Kunstwissenschaftler Jens Thiele: unbedingt. Die wilden roten Linien und Kleckse, mit denen die tschechische Illustratorin Květa Pacovská das Cover explodieren lässt, gefolgt von einem Farb- und Formenrausch im Buchinneren, sind für ihn eine "Verführung zum sinnlichen Sehen". Trotz einiger Vorbehalte ist auch der Lyriker Arne Rautenberg fasziniert: "Nonsens macht besonders Spaß, wenn er als mentaler Teilchenbeschleuniger funktionieren kann."

Zusammen mit der Schriftstellerin Felicitas Hoppe und dem Germanisten Sven Hanuschek diskutieren die beiden an diesem Montagabend im Lyrik Kabinett bei einem "Kinderlyrischen Quartett" über vier Lyrikbände für Kinder und Jugendliche - und über deren Illustrierung. Das ist nicht nur unterhaltsam, sondern auch in vielerlei Hinsicht aufschlussreich. Denn damit endet - vorläufig? - ein längeres Projekt der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, der Internationalen Jugendbibliothek und des Lyrik Kabinetts. Das erklärte Ziel aller: "Mehr Gewicht fürs Kindergedicht!" Begonnen hatte es vor zwei Jahren mit einem Workshop für Lyriker, im vergangenen Jahr ergänzt durch einen Workshop für Illustratoren - und jetzt hat man das Projekt nicht nur mit Lesungen und einer Ausstellung beendet, sondern gar mit einem Lyrik-Hausbuch: "Ein Nilpferd steckt im Leuchtturm fest".

Bevor das Nilpferd an diesem Abend aus dem Leuchtturm befreit wird, lässt sich das Podium wie auch das Publikum von Ted van Lieshouts Band "Wo bleibt das Meer?" verzaubern - ein sprachlich wie visuell minimalistisches Buch, das nicht nur Hoppe "auf poetisch diskrete Weise vollkommen schonungslos" findet. Uneinig ist sich die Runde dagegen bei "Alle Kinder", einem "Abc der Schadenfreude", das Anke Kuhl böse illustriert hat. Da sieht man zum Beispiel beim Buchstaben H das Bild eines Leichenzugs und liest daneben: "Alle Kinder gehen zum Friedhof. Außer Hagen - der wird getragen." Das tut weh - allerdings vor allem Erwachsenen, wie Hanuschek sagt: "Kinder finden es lustig."

Darüber kann man natürlich leichter streiten als abschließend über das Nilpferd-Projektbuch mit unterschiedlichsten Tiergedichten. "Der Hecht fühlt sich schlecht / Der Butt ist kaputt / Die Flunder kaum gesunder", reimt da zum Beispiel sprachspielend Michael Augustin. Braucht es daneben überhaupt Bilder - und welche? Und eröffnen sich heute auch neue Wege in der Kinderlyrik, hin zu einem noch freieren Quasseln der Quasselasseln, wie bei Ulrike Almut Sandig? Fragen ohne eindeutige Antworten. Die Sache bleibt verhext: Dies ist das Ende vom Text.

© SZ vom 12.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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