Süddeutsche Zeitung

Literatur:Begehbares Kaleidoskop

Der Nürnberger Autor Joshua Groß ist zum Ingeborg-Bachmann-Preis in Klagenfurt eingeladen

Von Olaf Przybilla, Nürnberg

An diesem Mittwoch kommen 14 Schriftsteller in Klagenfurt zusammen, um dort auszufechten, wer sich hernach Bachmann-Preisträger nennen darf. Unter den Kombattanten ist auch der 29 Jahre alte Nürnberger Joshua Groß, dem der Ruf eines Großbegabten vorauseilt, dem man aber bestimmt nicht zu nahe tritt, wenn man attestiert, dass sich seine Erzählkunst bisher eher in eingeweihten Zirkeln herumgesprochen hat. Mitglied der Jury ist in diesem Jahr Nora Gomringer, die Leiterin des Internationalen Künstlerhauses in Bamberg, die sich seit 2015 selbst Bachmann-Preisträgerin nennen darf. Der Szene-Geheimtipp Groß aus Nürnberg und die Bambergerin Gomringer - was läge da näher, als dass doch wohl die eine den anderen für den Klagenfurter Literaturwettstreit vorgeschlagen haben müsste? Stimmt aber nicht. Die beiden kennen sich gar nicht.

Dinge sind manchmal anders, als sie zu sein scheinen: eine Erkenntnis, mit der man dem Werk dieses 29-Jährigen - das immerhin bereits sechs Bücher umfasst - schon recht nahekommt. Etwa im "Faunenschnitt", einem Werk, das man in Ermangelung passenderer Begriffe wohl einen Roman nennen muss. Ohne Küchenmesser ist diesem Buch nicht beizukommen, man braucht ein Schnittwerkzeug, um die in Schmetterlingsbindung eingefügten Fotografien der Künstlerin Hannah Gebauer angemessen würdigen zu können. So gewöhnungsbedürftig Lektüre mit griffbereitem Küchenmesser ist, so abenteuerlich ist Joshua-Groß-Lesen an sich. Das liegt ein bisschen an der roten Schrift, für die sich der auf Buchkunst spezialisierte Starfruit-Verlag entschieden hat. In erster Linie aber liegt das an den artistischen Finten, die Groß anbietet und auf die man sich schon einlassen muss und dabei doch keine Gewähr auf einen roten Faden finden wird. Im "Faunenschnitt" etwa vertiefen sich die Begleiter des Ich-Erzählers in ein Backgammon-Spiel ("Die Würfel fielen achtlos durch die Vergangenheit") und lauschen dabei den schönsten Weisen von Roland Kaiser, was den Protagonisten dazu animiert, zu den Briefen des Münchner Literaten Milos Archibald Novalsky zu greifen.

Vorsicht aber: Der Ich-Erzähler unterstellt, dass Novalsky diese Briefe nur fingiert und unter simpler Verwendung von Adressaten-Klarnamen getarnt hat. Und der Leser wird nun zur Fußnote 3 geleitet, in Kleinstschrift ans Ende des Buches verbannt, wo Novalskys Vita in all ihren Wendungen aufgefächert und wie nebenbei ein literarisches Programm mitgeliefert wird, das einem jungen Wilden - Joshua Groß womöglich? - gut zu Gesicht stünde: Novalsky, das war einer, der sich zeitlebens bemühte, in Vergessenheit zu geraten; der aber in kleinen Kreisen noch immer als Rebell der Nachkriegsliteratur gefeiert wird, weil er deren literarischem Einheitsbrei mit ambitionierten Gegenpositionen die Stirn bot und sich dem "diktatorischen Prinzip der Realität" widersetzte. Novalsky wird profiliert als der Mann, der in seinem bahnbrechenden Essay "Mehr Feigheit. Warum der Surrealismus in der deutschen Literatur verachtet wird" den Kollegen attestiert, sie verachteten das Surreale und seien dazu verdammt, ambitionslos mittelmäßige, nicht überdauernde Kunst zu produzieren: "Eine Kunst der Feigheit. Eine Kunst des Verrats. Eine Kunst, die keine Kunst ist, sondern Langeweile."

Würde man behaupten, dass sich die Texte von Groß durch einen doppelten Boden auszeichnen, so wäre das eine unziemliche Untertreibung. Allein mit der zitierten Passage mögen literaturwissenschaftliche Hauptseminaristen einen erquicklichen Nachmittag verbringen: Da erfindet ein Autor einen anderen Autor, der seinerseits allerlei Briefe fingiert, Züge von Arno Schmidt in sich trägt, eine sehr spätromantische Poetologie proklamiert, mindestens wie Thomas Bernhard poltert und das alles im Snob-Gestus des Popliteraten verpackt. Was man für ein bisschen gaga halten kann, aber auch ein bisschen genial.

Ist Groß einer, der Spuren legt, um sich besser aus dem Staub machen zu können? In seinen Büchern jedenfalls ist der Autor immer irgendwie anwesend, wenn auch schwer greifbar. "Meine Locken ähneln Perseus dermaßen, dass ich mich manchmal frage, wo ich das Medusenhaupt gelassen habe. Würde ich es drauf anlegen, wärt ihr alle längst versteinert", heißt es einmal. Zu seinem literarischen Programm führt die an Bernhard geschulte Invektive aus der Fußnote viel weniger stringent als die banale Antwort auf die Frage einer Figur, was der Ich-Erzähler beruflich mache: "Ich baue ein begehbares Kaleidoskop." Ein schöner Satz - und einer, mit dem man der Kunst des 29-Jährigen sehr nahekommt.

In seinem Debütroman "Der Trost von Telefonzellen", 2013 erschienen, kommt man Groß auch räumlich näher. Zwei Protagonisten gründen da eine Art Antiquariat auf einem Tapeziertisch mitten im Wald im fränkischen Altdorf und stellen eine alte Telefonzelle dazu. Von dort, aus Altdorf, stammt Groß tatsächlich, in diesem Roman gelingt ihm sein bislang stärkstes Bild: Wie die beiden da am Straßenrand Bücher verkaufen, weil sie am Straßenrand eben Bücher verkaufen wollen, ohne dass es ihnen ums Verkaufen, sondern mehr um den Straßenrand geht - das wird man nicht wieder vergessen. "Es gibt keinen besseren Platz für die Literatur als einen Straßenrand", erklärt eine der Figuren.

Er überlege sich, sagt Joshua Groß, ob er nach seinem Auftritt in Klagenfurt im Fach "Ethik der Textkulturen" promovieren soll - und man ertappt sich bei der Frage: Gibt es dieses Fach wirklich? Und doch, das gibt es tatsächlich, auch wenn man das nach Joshua-Groß-Lektüre für einen psychedelischen Fiebertraum eines ebenso berauschten wie berauschenden Ich-Erzählers mit Perseus-Locken halten mag. Wer Leser so smart verwirren kann, dürfte Chancen haben in Klagenfurt.

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Quelle:
SZ vom 04.07.2018
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