Literatur:Beeskower Burgschreiberin Hauser wünscht sich mehr Offenheit

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Franziska Hauser, Autorin, sitzt auf dem Fensterbrett ihrer Wohnung auf der Burg Beeskow. (Foto: Patrick Pleul/dpa/Archivbild)

Seit Januar ist Franziska Hauser Burgschreiberin von Beeskow. Das in Brandenburg einmalige Amt gibt es seit 30 Jahren. Auf der Suche nach verborgenen Geschichten stieß die 47-Jährige unter anderem auf ein tragisches Ereignis aus dem Zweiten Weltkrieg.

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Beeskow (dpa/bb) - In Regionalgeschichte eintauchen, Zeitungsartikel schreiben, Einheimische für Interviews befragen, Geschriebenes vorstellen und am neuen Roman schreiben: Die Burgschreiberin von Beeskow, Franziska Hauser, hat in den vergangenen Wochen ihr Amt mit viel Leben gefüllt.

Mitunter sei das nicht einfach gewesen, erzählt die Schriftstellerin und Fotografin der Deutschen Presse-Agentur in einem ersten Resümee. Das Interesse an ihr sei zwar „riesengroß“ und Lesungen gut besucht worden. Trotzdem seien noch viele Türen in der Stadt verschlossen geblieben, berichtet die Literatin. Sich anhand von Alltagsgeschichten oder Biografien von Einwohnern auf Spurensuche zu begeben, sei schwierig gewesen. Ob das an den Wintermonaten gelegen hat oder an der Skepsis ihr gegenüber? Hauser weiß es nicht.

Seit Januar ist die Berlinerin Burgfräulein in Beeskow, wohnt und arbeitet in den alten Gemäuern. Das in Brandenburg einmalige Amt der Burgschreiberin oder des Burgschreibers gibt es seit 30 Jahren. Es wird alljährlich vom Landkreis Oder-Spree und der Stadt für fünf Monate neu vergeben, verbunden mit der Verpflichtung, neben Antritts- und Abschlusslesung Texte zu veröffentlichen.

Beobachtet hat Hauser bei Stadtspaziergängen nicht nur possierliche Nutrias sondern auch die Neugier der Beeskower, wie sie von Außenstehenden wahrgenommen werden. „Wie siehst du uns denn so“, sei eine der häufig gestellten Fragen. Andererseits begegne ihr auch die Sorge von Einwohnern, durch sie in Texten oder in sozialen Medien aufzutauchen.

Auf der Suche nach verborgenen Geschichten aus Beeskow stieß die 47-Jährige im Stadtarchiv auf ein tragisches Ereignis aus dem Zweiten Weltkrieg, das bis „heute wie ein Trauma über der Stadt hängt“, wie Hauser beschreibt. Im April 1945 wurde Beeskow aufgegeben, viele der Einwohner flohen vor der Roten Armee Richtung Halbe und gerieten dort in den berüchtigten Kessel. Insgesamt mehr als 40.000 Menschen starben dort, fast 30.000 von ihnen liegen heute auf dem dortigen Waldfriedhof, einer der größten Kriegsgräberstätten Deutschlands.

Auch viele Beeskower kamen bei Halbe um. Schicksale wie die eines kleinen Mädchens seien ungeklärt und von älteren Einwohnern gehütet worden wie ein „Märchen“, beschreibt Hauser. Durch ihre Recherche habe sie Verwandte und Chronisten zusammenbringen können. Nach fast 80 Jahren hätten sich Lücken in Biografien vervollständigt.

Hauser hat für Gespräche auch regelmäßig die Stadt erwandert, im Jugendclub, bei einen Keramikkurs und im Seniorenheim vorbeigeschaut. „Ich lauf überall dahin, wo man nicht eingeladen werden muss“, sagt sie und hofft, dass sich Beeskow mit dem Osterfest mehr öffnet.

Im vergangenen Jahr war Hausers letzter Roman „Keine von Ihnen“ (Eichborn-Verlag) erschienen. Ihr neues Werk, an dem sie schreibt, hat in der Burg 75 Seiten hinzubekommen. Zur Unterstützung für die Umsetzung eigener literarischer Vorhaben gibt es ein monatliches Stipendium in Höhe von 1000 Euro.

Einen Roman könne man nicht beschleunigen, beschreibt sie. „Der wächst, wie auch ein Kind wächst.“ Hauser genießt es deshalb, den Text auch mal einen Tag liegen zu lassen, um dann ganz plötzlich eine Idee niederzuschreiben. „Es ist wie eine Autor-Roman-Kur“. In Berlin müsse sie zur regulären Arbeit und schleppe das „Schreibenwollen“ immer mit sich herum.

Nun sitzt die Dichterin in Schreibpausen auf dem ruhigen Burghof mit einem Espresso oder regional hergestelltem Eis. Sie freut sich über die Geburtstagseinladung einer Einheimischen. Auch ein Anti-Smalltalk-Picknick (15.4) auf der Burg hat sie organisiert - als Gesprächsanregung abseits von Themen wie Arbeit oder Urlaub. „Mein Oma-Film ist, dass meine Kinder mit Familie mal hierher ziehen“, sinniert sie. Berlin sei nur bedingt eine Alternative zum Leben.

© dpa-infocom, dpa:230407-99-241298/2

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