Auf der Rückkehr von Jeseníky/Altvatergebirge im Nordosten von Tschechien, aus scheinbar leerer und unberührter Landschaft kommend, machten zwei Münchner Kulturvermittlerinnen im vergangenen Jahr Halt in Brünn, um die Schriftstellerin Kateřina Tučková zu treffen. In einem belebten Kaffeehaus namens "Soul Bistro", das in jeder europäischen Metropole so auffindbar wäre, erzählte die wache, lebhafte junge Frau über Mähren, die deutsche Vergangenheit des Landes und ihren ersten Roman "Vyhnání Gerty Schnirch" (Die Vertreibung der Gerta Schnirch). Darin geht es um die Zwangsumsiedlung der Brünner Deutschen, über der ein Schweigen lag, das Tučková durchbrechen wollte. Dieses Buch gibt es leider noch nicht auf Deutsch - doch wie zum Trost ist ihr zweiter Roman "Die Göttinnen von Žítková" gerade unter dem Titel "Das Vermächtnis der Göttinnen" übersetzt worden, und die Autorin stellt ihn jetzt auf einer Lesereise in Süddeutschland vor.
Was für ein Buch, was für eine Autorin kommen da aus dem mährischen Mitteleuropa zu uns? Es ist ein aufklärerisches, tabubrechendes, zugleich mit Mythos und übersinnlichen Kräften spielendes Werk, geschrieben von einer 35-Jährigen, die Kunstgeschichte und Literatur studiert hat, an der Karls-Universität in Prag promoviert wurde und neben dem Schreiben auch als Kuratorin arbeitet. Der Kunst mag sie die Fähigkeit zur Komposition abgeschaut haben, denn sie beweist nicht nur Mut in der Wahl ihrer Themen, sondern auch ihrer sprachlichen und erzählperspektivischen Mittel.
"Das Vermächtnis der Göttinnen" (Deutsche Verlags-Anstalt) erzählt in der hervorragenden Übersetzung von Eva Profousová von der Verfolgung weiser heilkundiger und hellsichtiger Frauen in Zeiten totalitärer Herrschaft und klerikalem Machtmissbrauch. Die "Göttinnen" - so nennt sie der Volksmund - leben in einer kargen, bevölkerungsarmen Landschaft der Weißen Karpaten im tschechisch-slowakischen Grenzgebiet. Kateřina Tučková lässt keinen Zweifel daran, dass es sie gibt oder gab, denn ihre weibliche Hauptfigur, die Ethnografin Dora Idesová, aus deren Perspektive sie erzählt, durchforscht alle erdenklichen Archive, um die Wahrheit über die Geschichte der weisen Frauen herauszufinden.
Dora stammt selbst von einer solchen Göttin ab, und die Gabe der Heilkunst wird an die weiblichen Nachkommen vererbt. Doch sie arbeitet bewusst wissenschaftlich und in aufklärerischer Absicht, um das Phänomen der Heil- und Weissagekunst dieser Frauen zu erforschen. Dabei ist ihr Schicksal, das ihres geistig behinderten Bruders und ihrer Tante Surmena, die noch in den Siebzigerjahren eine Göttin war, selbst ein Beispiel dafür, wie den weisen Frauen in der Zeit des kommunistischen Regimes der Garaus gemacht wurde.
Dora ist die Erste in der Familie, die Bildung erhält und studieren kann. Sie findet heraus, wie bereits die nationalsozialistischen Besatzer in Himmlers Auftrag das Wissen der weisen Frauen zu germanischem Brauchtum umdeuten wollten; und welche Verfolgungen der Kirche, der sie doch treu anhingen, sie durchlitten. Und als Leser hofft man für Dora, dass sie jetzt, nach der politischen Wende, dem Schicksal ihrer Vorfahrinnen entkommt. Doch Regie führt in diesem Buch natürlich die Autorin, die anderes mit Dora vorhat.
Kateřina Tučková hat überhaupt immer wieder so einiges vor. Im "Soul Bistro" in Brünn zum Beispiel machte sie den Besucherinnen ein Geschenk, zur Erinnerung an ihre Heimat: eine Zwei-Liter-Flasche mährischen neuen Weins, die während der Heimfahrt alle Viertelstunde zu öffnen sei, sonst würde sie explodieren. Es war eine Begegnung mit Langzeitwirkung. Lesungen von Kateřina Tučková, Do., 3. März, 18 Uhr, Café im Schäzlerpalais, Maximilianstr. 46, Augsburg; Fr., 4. März, 19 Uhr, Tschechisches Zentrum, Prinzregentenstr. 7, München, Eintritt frei